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personalmagazin 01 / 09
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Der Stellvertreter-Krieg
PRAXIS. Wer jahrelang auf den Chefsessel hinarbeitet, ist enttäuscht, wenn ihn
ein anderer einnimmt. Missachten Unternehmen die Stellvertreter, droht Boykott.
D
ie Begrüßung von Wolfgang
Ressler verlief kühl. Als die
Mitarbeiterin der Personal-
abteilung den neu eingestell-
ten Teamleiter seinem Stellvertreter
vorstellte, lächelte der nur höflich und
entgegnete: „Ah ja, guten Tag. Na dann,
an die Arbeit.“ Der Betriebswirt leitete
von nun an ein Team aus Controllern in
einer Frankfurter Großbank. Im ersten
Vieraugengespräch saß sein Stellvertre-
ter mit verschränkten Armen vor ihm
und sagte: „Wären Sie nicht gekommen,
würde ich an diesem Schreibtisch sit-
zen.“ Es war kein guter Start für Ressler.
In den folgenden Wochen versäumte er
Termine, weil sie in seinem digitalen
Kalender nicht eingetragen waren. Ta-
gelang forschte er nach wichtigen Kenn-
zahlen, obwohl andere Abteilungen sie
längst geliefert hatten. Einige Mitarbei-
ter im Team verhielten sich kühl, obwohl
der sympathische Ressler offen und
teamorientiert auf die neuen Kollegen
zuging.
Boykott am neuen Chef
Ressler erlebte in diesen Wochen eine
bislang kaum beachtete, aber in seinen
Folgen für Unternehmen und Mitarbei-
ter oft dramatische Form von Mobbing –
den Stellvertreter-Krieg: Stellvertretende
Führungskräfte boykottieren ihren neu
eingestellten Chef mit allen Mitteln, weil
sie im Auswahlverfahren um den freien
Chefsessel unterlegen sind.
„Typische Anzeichen für so eine Si-
tuation sind beispielsweise das Ver-
schwinden von wichtigen Akten und
Daten. Informationen werden stark
verzögert an den neuen Vorgesetzten
weitergegeben, längerfristig geplante
Termine erst extrem kurzfristig der
Führungskraft mitgeteilt“, berichtet der
Frankfurter Business-Coach und Thera-
peut Gerrit Grahl vom Frankfurter The-
rapiezentrum Grahl, von Schorlemer
und Partner.
Etwa 20 Prozent seiner Klienten, meist
Führungskräfte aus der Bank-, Dienst-
leistungs- und Versicherungsbranche,
seien Stellvertreter, die den Kampf um
den ersehnten Chef-Job verloren haben.
Dabei sind sie in eine so tiefe persön-
liche Krise gerutscht, dass sie professio-
nelle Hilfe brauchen.
„Standardisierte Personalauswahlver-
fahren und der Fokus auf Skills und Kom-
petenzen produzieren zutiefst gekränkte
Verlierer, um die sich weder Vorgesetzte
noch das Personalmanagement küm-
mern“, konstatiert Grahl. Das geschehe
auch bei Unternehmensfusionen oder
neuen Investoren, da sich dabei ebenfalls
das Führungskräfte-Karussell drehe. „Die
Stellvertreter schuften jahrelang richtig
hart, um irgendwann ihr Ziel, den Chef-
sessel, zu erreichen. Dann ist die Stelle
endlich frei – und das Unternehmen setzt
jemand anderen drauf, ohne dies näher
zu begründen“, beschreibt der Frankfur-
ter Business-Coach die Situation. Auf-
grund dieser Kränkung setze eine innere
Verweigerung ein, die „meist im Boykott
der neuen Führungskraft“ endet.
Diese Mitarbeiter wendeten über die
Hälfte ihrer Arbeitszeit auf, um sich
neue Boykott-Strategien auszudenken
und anzubahnen. Von Produktivität des
Mitarbeiters könne ab diesem Zeitpunkt
keine Rede mehr sein. „Auch der neue
Chef ist deutlich weniger leistungsfähig,
weil er extrem viel Zeit aufwendet, die
Dinge geradezurücken, verlorene Daten
aufspüren muss und sich in einer Situa-
tion permanenter Unsicherheit befindet.
Er sieht sich ständig neuen versteckten
Attacken ausgesetzt, ohne zu verstehen,
woher sie kommen.“ Das Team wird
so in kurzer Zeit führungslos, weil die
wichtigen Angelegenheiten zu kurz
kommen.
Stellvertreter werden krank
Die gekränkten Unterlegenen reagierten
dabei nach Grahls Erfahrungenmeist mit
den immer gleichen Symptomen: Kopf-
schmerzen, Magenschmerzen, Schlaflo-
sigkeit, Ruhelosigkeit, Erbrechen. „Sie
fühlen sich schuldig, denken, sie hätten
ihre große Chance vergeigt, sich im Be-
werbungsgespräch zu schlecht präsen-
tiert oder hätten nicht hart genug für
ihr großes Ziel gearbeitet“, sagt Grahl,
„für sie ist klar: Ich habe versagt.“ Die
Befriedigung aus einer Boykott-Aktion
Von
Uwe Kauss
Diese Form des Mobbings ist weitverbreitet. Aber
die Unternehmen beachten sie bisher nur wenig.