Seite 19 - personalmagazin_2009_01

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DEMOGRAFIE
TITEL
01 / 09 personalmagazin
Das Interview führte
Randolf Jessl.
Scholz:
Deutschland kann den globalen
Wettbewerb nur mit den Menschen und
mit guter Arbeit gewinnen. Nur Arbeits-
bedingungen, die die Beteiligung der
Beschäftigten sichern, die die Gesund-
heit und Qualifikation fördern, die
über gute Führung und soziale Unter-
stützung die Potenziale der Menschen
stärken, werden uns auch in Zukunft
erfolgreich machen. Anstrengungen
dazu sind nötig, sowohl in den Betrie-
ben als auch in der Gesellschaft. Diese
wollen wir mobilisieren.
personalmagazin:
Das klingt alles wenig
konkret, dafür umso überschwäng-
licher. Relativ konkret sind Sie im April
auf der Berliner Konferenz „Unterneh-
men in Verantwortung“ geworden. Dort
haben Sie Pläne vorgestellt, Firmen,
die gesellschaftliche Verantwortung
übernehmen, ein Siegel für „Corporate
Social Responsibility“ zu verleihen.
Derlei Siegel gibt es bereits. Außerdem
stößt der Plan im Mittelstand auf Ableh-
nung. Wollen Sie daran festhalten?
Scholz:
Es geht dabei nicht um ein
weiteres Siegel. Wir wollen aber das
Engagement vieler Unternehmen
deutlich machen – vor allem für Ver-
braucherinnen und Verbraucher. Durch
mehr Transparenz können wir den
Verbrauchern eine Entscheidungshilfe
an die Hand geben. Wenn Unternehmen
Verantwortung zeigen, dann ist das
für die Kundinnen und Kunden eine
wichtige Information. Für die Unterneh-
men kann sich das also auch auszahlen.
Wie wir das umsetzen können, darüber
führen wir eine intensive Diskussion –
unter anderem mit der Wirtschaft, den
Sozialpartnern, Verbraucherverbänden
und anderen.
personalmagazin:
Die von Ihnen unter-
stützten Demografieinitiativen sind
gottlob endlich aus dem Diskussi-
onsstadium heraus und handeln. Das
Demographie-Netzwerk ddn zeigt
Beispiele guter Praxis. Ist aber nicht zu
befürchten, dass – wie in der Dotcom-
Krise geschehen – Demografieprojekte
wieder zugunsten von Frühverrentungs-
programmen einkassiert werden?
Scholz:
Nein. Das können und dürfen wir
uns nicht mehr leisten. Der demogra-
fische Wandel findet ja statt. Über ihn
wird nicht im Deutschen Bundestag,
bei den Gewerkschaften oder bei den
Arbeitgebern entschieden. Wir müssen
uns dieser Herausforderung stellen,
und wir tun gut daran, die Auswir-
kungen des Wandels zu beachten.
personalmagazin:
„Guter Arbeit“ steht aus
Sicht vieler Praktiker ein – auch für
Experten – kaum mehr durchschau-
bares und in sich oft widersprüch-
liches Dickicht an arbeitsrechtlichen
Vorschriften entgegen. Darf man in
absehbarer Zeit auf ein verschlanktes
Arbeitsvertragsgesetz hoffen?
Scholz:
Ein einheitliches Arbeitsver-
tragsgesetzbuch wird seit Jahren
gefordert. Es ist aus meiner Sicht auch
wünschenswert, jedoch politisch sehr
komplex. Deshalb werden wir eine
Kodifizierung nur erreichen, wenn sich
alle gesellschaftlich relevanten Kräfte
einig sind. Ideal wäre ein von Arbeitge-
bern und Gewerkschaften gemeinsam
getragenes „Re-Statement“ der verschie-
denen arbeitsrechtlichen Vorschriften,
also eine übersichtliche Zusammen-
stellung aller existierenden Paragrafen
und der Rechtsprechung in einem
Arbeitsgesetzbuch. Dann bin ich gerne
bereit, ein solches Gesetzbuch auf den
Weg zu bringen. Wenig hilfreich wäre
es, wenn beide Seiten versuchten,
gleichzeitig noch lang gehegte Wün-
sche mit unterzubringen – egal ob es
dabei um weniger Kündigungsschutz
oder um mehr Mindestlohn geht. Und
egal wie meine Sympathien gegenü-
ber diesen Forderungen in der Sache
verteilt sein mögen: Ausschlaggebend
muss sein, dass wir nicht nur materiel-
le Vorschriften ändern, sondern formal
versuchen, die über etliche Gesetze ver-
streuten Normen in einem Gesetzbuch
zusammenzuführen.
personalmagazin:
Wie sieht 2010 eine
Arbeitswelt aus, die in Ihren Augen das
Prädikat „gut“ verdienen würde?
Scholz:
Ich möchte, dass Arbeitneh-
mer ein sicheres und ausreichendes
Einkommen haben. Dazu brauchen wir
starke Tarifpartner und einen Min-
destlohn. Ich möchte, dass Frauen und
Männer gerne zur Arbeit gehen, weil
sie dort gefordert und gefördert werden
von Kollegen und wertschätzenden
Führungskräften. Deshalb sind wir
für eine starke betriebliche Mitbestim-
mung, deshalb stärken wir die Möglich-
keiten der Aus- und Weiterbildung. Und
deshalb unterstützen wir Projekte zur
Evaluation der Arbeitswelt
.
„Mein Appell an die Unternehmen lautet:
Haltet an euren Beschäftigten fest, ihr werdet sie
nach der Krise brauchen. Wir helfen dabei.“
„Alle haben ein mulmiges Gefühl, ich auch. Aber
gleichzeitig weiß ich: Wir gehen besser vorbereitet
in diese Krise als noch vor wenigen Jahren.“