PERSONALquarterly 4/2016 - page 8

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SCHWERPUNKT
_INTERVIEW
PERSONALquarterly 04/16
Wie schwierig dies ist, zeigt sich zum Beispiel in Slogans
wie „Vorsprung durch Technik“. Dieser zeugt von Top-down-
Sense-Making. Er greift nur den Sinn der Ingenieure auf
und vernachlässigt somit zentrale Perspektiven weiterer
Abteilungen in der Organisation.
PERSONALquarterly:
Im Sinnfindungsprozess scheint also vor
allem die Belegschaft eine wichtige Rolle zu spielen. Welche
Funktion würden Sie dem Human Resource Management
zusprechen?
Kai Hockerts:
Die Rolle des HR-Managements sehe ich proble-
matisch. Das HR-Management ist häufig als zentralisierte
Funktion im Unternehmen verankert. Wenn diese also den
Sense-Making-Prozess anstößt, wäre die erste Reaktion der
Mitarbeiter wahrscheinlich so skeptisch wie die der Stu-
dierenden zu unserem Responsibility Day an der CBS: „Sie
wollen mir eine große Story verkaufen.“ Sie vertrauen dem
Prozess also nicht, wenn er zentral gesteuert wird. Dies
wäre für das Konzept von Bottom-up-Sense-Making fatal.
Dieses lebt davon, dass Menschen sich einbringen. Dies
werden sie allerdings gar nicht oder zögerlicher tun, wenn
sie dem Prozess nicht vertrauen.
Das HR-Management sollte den Prozess also meiner Mei-
nung nach nicht initiieren. Vielmehr ist es die Aufgabe des
HR-Managements, den persönlichen Sense-Making- und
Sense-Giving-Prozess der Mitarbeiter zu unterstützen.
Wenn es zu der Frage kommt, was Mitarbeiter in ihrem
Leben glücklich macht und wie sie dies im Berufs- und
Privatleben umsetzen können, kann das HR-Management
durchaus Strukturen schaffen, die dies erleichtern.
PERSONALquarterly:
Damit sprechen Sie das Phänomen an, dass
Mitarbeiter vermehrt ihren beruflichen mit dem privaten
Sinn verbinden möchten. Mitarbeitende scheinen sich immer
mehr zu fragen, inwiefern ihre Tätigkeit nicht nur einen Bei-
trag für das Unternehmen, sondern auch für die Gesellschaft
leistet. Im Zuge der Sinnsuche haben sich daher in den letz-
ten Jahren sogenannte „Sozialunternehmen“ herausgebildet.
Herr Hockerts, Sie beschäftigen sich als Forscher und Dozent
auf internationaler Ebene mit Sozialunternehmen (engl.
„social businesses“). Welche Art von Unternehmen sind So-
zialunternehmen und in welcher Hinsicht unterscheiden sie
sich von traditionellen Unternehmen?
Kai Hockerts:
Während traditionelle Unternehmen mit Maß-
nahmen wie z.B. Work-Life-Balance-Aktivitäten oder dem
Einsatz von Ressourcen schonenden Produktionsmetho-
den ihr operatives Geschäft gesellschaftlich verträglicher
gestalten wollen, durchlaufen Sozialunternehmen genau
den umgekehrten Weg. Sie suchen nicht im ersten Schritt
nach Gewinnmaximierung und fragen dann, wie diese ge-
sellschaftlich sinnvoll gestaltet werden kann. Sozialunter-
nehmen starten von vornherein mit einem ausgeprägten
sozialen Sinn und machen sich zur Ausführung unterneh-
merische Prinzipien zunutze.
Einige Studierende, die wirtschaftliche Werkzeuge und
Methoden erlernen, realisieren im Laufe ihres Studiums,
dass sie dieses Wissen und ihre Fähigkeiten für einen ge-
sellschaftlichen Zweck einbringen möchten. Daher ziehen
einige die Gründung eines Sozialunternehmens der Anstel-
lung in einem Konzern vor.
Drei Studierende, die meine Kurse besucht haben, zeigten
bereits sehr früh die Motivation, ein Sozialunternehmen
aufzubauen – die Geburtsstunde von Ruby Cup. In einigen
Regionen in Afrika können Mädchen während ihrer Mens-
truation nicht die Schule besuchen. Mit Ruby Cup wollten
die drei Gründer diese Situation ändern und dabei Millionäre
werden. Das scheint paradox. Sie sahen allerdings ihren
Sinn darin, ein sehr wichtiges gesellschaftliches Problem
zu lösen und dabei erfolgreiche Geschäftsleute zu werden.
An diesem Beispiel sieht man auch den Unterschied von
Sozialunternehmen zu Stiftungen. Die Gründer vertraten
die Meinung, dass der Markt das Problem selbstregulierend
und unabhängig von Spenden lösen kann.
Immer mehr Menschen realisieren, dass Unternehmen
große gesellschaftliche Probleme als Marktchance begreifen
können. Zur Veranschaulichung möchte ich das Beispiel des
Fairtrade-Kaffee-Labels Cafédirect nennen. Das Sozialunter-
nehmen stellte eine neue Mitarbeiterin im Marketing mit
Vorerfahrung bei L’Oréal und Bodyshop ein. In ihrer An-
fangszeit bei Cafédirect bat sie darum, mit dem Team über
finanzielle Zielgrößen und anvisierte Gewinne zu sprechen.
Ein Mitarbeiter nahm die Marketingexpertin zur Seite und
wies sie daraufhin, dass Wörter wie „Gewinn“ nicht im Un-
ternehmensalltag erwünscht seien. Sie entgegnete: „Sagt
das dem Bauern, der auf der Packung Kaffee abgedruckt
ist. Er möchte mehr Kaffee verkaufen, um das Einkommen
seiner Familie zu sichern. Unsere Aufgabe ist es, ihn dabei
zu unterstützen. Wenn wir Worte wie Gewinn ausblenden,
können wir unser Ziel einer profitablen Marke und damit die
Garantie fairer Einkünfte für die Bauern nicht erreichen. 95
Prozent der Kaffeekäufer interessieren sich nicht für faire
Löhne im Kaffeeanbau. Um nun diese Käufer für uns zu ge-
winnen, müssen wir auf das Produkt und nicht nur auf die
gesellschaftlichen Missstände aufmerksam machen.“
An diesem Beispiel erkennt man eindeutig die Spannung
zwischen dem gesellschaftlichen und dem ökonomischen
Sense-Making als besondere Herausforderung und Chance
der Sozialunternehmen.
Die Grenzen zwischen Sozialunternehmen, gemeinnüt-
zigen Organisationen und marktwirtschaftlich orientierten
Unternehmen sind fließend. Wenn Bill Gates mit Microsoft
das Ziel verfolgt, jedem Menschen Zugang zu einem Com-
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