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pisierungen abbauen. Noch immer ist die Meinung weit ver-
breitet, dass wer Kinder hat weniger produktiv oder weniger
konzentriert arbeitet, dass sie oder er sowieso keine Karriere
machen will. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Um die fest
verankerten Überzeugungen aufzuweichen, könnten Quoten-
regelungen helfen. Man würde dann mehr Frauen sehen, die
Dinge schaffen, die man von ihnen nicht erwartet hätte. Oder
Männer, die in sogenannten Frauenberufen brillieren. Eine
Modifizierung des Ehegattensplittings braucht es aus einem
anderen Grund: Dieses Instrument ist verdammt teuer. Das
Geld ließe sich viel besser nutzen, um Kinder direkt zu errei-
chen, etwa durch qualitativ hochwertige Kinderkrippen und
Ganztagsschulen. Gerade die 1,6 Millionen Kinder unterhalb
der Armutsgrenze brauchen diese Einrichtungen dringend.
PERSONALquarterly:
Das WZB ist seit 2010 zertifiziert durch das
audit berufundfamilie: Warum ist es wichtig, ein familien­
freundliches Institut zu sein, wo es doch eigentlich für die
Forscher und Forscherinnen darum geht, am Anfang ihrer Kar-
riere voranzukommen und sie dafür Zeitverträge und häufige
Ortswechsel in Kauf nehmen?
Allmendinger:
Kurze Verträge und häufige Ortswechsel sind in
der Tat hohe Hürden. Dennoch können wir seitens des WZB
sehr viel tun, damit unsere jungen Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter die Familienbildung nicht ganz aus dem Auge verlieren
und denMut aufbringen, Karriere und Familie zu wagen. Damit
meine ich weniger unsere Kinderbetreuung bei Konferenzen,
unser Eltern-Kind Büro, die Bereitstellung einer Notfallbetreu-
ung oder Betreuungsmöglichkeiten der Kinder unserer Gast-
wissenschaftler. Das ist alles wichtig, ausschlaggebend ist aber
die Kultur des Hauses. Wir denken die Kinder mit. Wir freuen
uns auf und über sie. Kinder dürfen mitgebracht werden, wir
heißen Babys mit einemWZB-Body willkommen. Wenn Mütter
oder Väter für längere Zeit einen Auslandsaufenthalt antreten,
so lassen wir die ganze Familie reisen. Familienfreundlichkeit
gibt es nicht zum Nulltarif. Wenn wir aber sehen, wie produk-
tiv die jungen Eltern sind und wie toll sie sich entwickeln,
ist der Einsatz jeden Cent wert. Das WZB profitiert auch von
einem Ansteckungseffekt, der mittlerweile gut dokumentiert
ist. Wenn man sieht: Oh, meine Kollegin hat Kinder, publiziert
im Moment vielleicht etwas weniger und bekommt dennoch
eine Professur, dann traut man sich auch.
PERSONALquarterly:
Wie haben Sie selbst Familie und Job überei-
nander bekommen?
Allmendinger:
Da ich erst mit 37 Jahren Mutter wurde und dies
zu einem Zeitpunkt, als ich schon Beamtin war und eine Pro-
fessur in München hatte, bin ich kein typisches Beispiel. Ich
war Chefin, hatte ein gutes Einkommen und konnte mir die
Zeit einteilen. Ich machte es wie meine Professorinnen in den
USA und brachte meinen Sohn sehr früh mit zur Uni. Auch hier
also ein Ansteckungseffekt. Die Zeit der Pflege meiner Mutter
empfand ich als ungleich schwieriger, wohl auch, weil ein Le-
ben zu Ende ging. In dieser Zeit habe ich gelernt, dass meine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch ohne mich gut aus-
kommen. Man darf sich nicht so wichtig nehmen. In gewisser
Weise stärkt es die Organisation, wenn der Chef delegiert und
mal eine Zeit lang nicht greifbar ist. Und das, was ich in diesem
Jahr nicht publiziert habe, kann ich ja später noch nachholen.
Dazu muss man stehen.
„Familienfreundlichkeit gibt es nicht zum Nulltarif.
Wenn wir aber sehen, wie produktiv die jungen Eltern
sind, ist der Einsatz jeden Cent wert.“
Prof. Jutta Allmendinger Ph.D.
FORSCHUNGSLITERATUR
Studien aus dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung WZB, die die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Forschungsgegenstand haben - alle unter
Matthias Pollmann-Schult unter Mitarbeit von Mareike Bünning: Partnerschaft,
Elternschaft und Erwerbstätigkeit. Auswirkungen familialer Übergänge auf das
Erwerbsverhalten von Männern im Ländervergleich (DFG-gefördert, 2012-2015)
Familie: Politik, Lebensformen und Einstellungen im Wandel. WZB-Mitteilungen
143/2014
Jutta Allmendinger/Julia Haarbrücker unter Mitarbeit von Florian Fliegner:
Lebensentwürfe heute. Wie junge Frauen und Männer in Deutschland leben wollen
Lena Hipp und Stefan Stuth: Management und Teilzeitarbeit – Wunsch und Wirk-
lichkeit, WZBrief Arbeit 15/2013
Alessandra Rusconi (WZB), Christine Wimbauer, Mona Motakef, Beate Korten-
diek, Peter A. Berger (Hg.): Paare und Ungleichheit(en). Eine Verhältnisbestim-
mung. Gender-Sonderheft, Band 2, 2013, Budrich-Verlag
Alessandra Rusconi, Heike Solga unter Mitarbeit von Johanna Hess, Ralf
Künster, Lisa Pfahl, Marion Thiele: Gemeinsam Karriere machen – Realisierungs-
bedingungen von Doppelkarrieren in Akademikerpartnerschaften (gefördert durch
BMBF und ESF, 2007-2010)
Christine Wimbauer (Leiterin Emmy-Noether-Gruppe): Geschlecht und Familie.
Liebe, Arbeit, Anerkennung. Drei Teilprojekte: Doppelkarriere-Paare/Arbeitsorgani-
sationen/Sozialpolitische Regelungen (2008-2011)