Seite 6 - PERSONALquarterly_2015_01

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SCHWERPUNKT
_INTERVIEW
PERSONALquarterly 01 / 15
PERSONALquarterly:
Wie kommen Gesellschaft und Wirtschaft
voran in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie?
Jutta Allmendinger:
Auf den ersten Blick hat sich viel getan in Sa-
chen Vereinbarkeit. Wenn ich da nur an das Elterngeld denke
oder den Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung für unter
Einjährige oder den verstärkten Ausbau von Schulen zu Ganz-
tagsschulen. Betriebe legen Programme auf und werden als
familienfreundlich zertifiziert. Die Erwerbsquote von Frauen
stieg in den letzten zehn Jahren von 60 auf 70 Prozent.
Doch wenn wir genauer hinschauen, arbeiten Frauen, sobald
Kinder da sind, vor allem in niedriger Teilzeit, aus der sie nur
schwer wieder rauskommen. Sie erhalten aufgrund der gerin-
geren Arbeitszeit ein geringeres Einkommen, und obendrein
verdienen sie pro Stunde weniger als Männer – bei vergleich-
baren Tätigkeiten.
Vereinbarkeit muss aber mehr heißen als ein Teilzeitjob: eine
tatsächliche Chance, sich und die Kinder von der eigenen
Erwerbsarbeit zu ernähren, eine ordentliche Karriere und
ein gerechter Lohn für die gezeigte Leistung. Davon sind wir
noch weit entfernt. Wir müssen die Chancen einer längeren
Lebenserwartung bei guter Gesundheit nutzen und die be-
zahlte und unbezahlte Arbeit gleichmäßiger über das Leben
und auch zwischen den Geschlechtern verteilen. Wir müssen
viele Institutionen an die neuen Lebensentwürfe von Frauen
und Männern anpassen, damit meine ich insbesondere qua-
litativ hochwertige Bildungs- und Betreuungseinrichtungen
für Kinder und zunehmend auch für Ältere. Wir müssen an
der Entlohnung ansetzen und typische Frauenberufe höher
bewerten, sodass sie an die Entlohnung von Männerberufen
heranreichen. Erst dann können wir von einem geschlechter-
gerechten Arbeitsmarkt und von Vereinbarkeit reden.
PERSONALquarterly:
Wo steht Deutschland im internationalen
Vergleich? Wie sind die Unterschiede zu erklären? Konnte
Deutschland aufholen?
Allmendinger:
Offenbar gelingt es in vielen Ländern besser, die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. In Por-
tugal, Dänemark und Slowenien beispielsweise waren im Jahr
2011 mehr als 83 Prozent der Mütter erwerbstätig. In Deutsch-
land waren es nur rund 60 Prozent. Damit liegt Deutschland
Karriere und Familie wagen
Das Interview mit WZB-Chefin
Prof. Jutta Allmendinger Ph.D.
führte
Ruth Lemmer
im europäischen Vergleich noch immer im unteren Mittelfeld.
Nur in einigen osteuropäischen Ländern sowie in Malta und
Italien waren prozentual weniger Mütter erwerbstätig als in
Deutschland.
Ähnlich sieht es aus, wenn wir uns anschauen, wie sehr sich
die Arbeitszeiten von Paaren unterscheiden. Es gibt nur we-
nige Länder, in denen die Arbeitszeitunterschiede bei Paaren
noch größer sind als in Deutschland. Bei den 25- bis 54-Jäh-
rigen arbeiten Frauen in Deutschland durchschnittlich 16
Stunden weniger im Job als ihre Männer. In Dänemark belief
sich dieser Unterschied auf sechs Stunden, in Slowenien und
Litauen sogar auf weniger als drei Stunden. In diesen Ländern
werden Frauen also nicht in die Teilzeit-Nische gedrängt, son-
dern die Arbeitszeiten werden gerechter zwischen Frauen und
Männern verteilt. Interessant ist, dass auch die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie besser klappt: Die Geburtenrate ist dort
höher als bei uns.
PERSONALquarterly:
Erhöht der demografische Wandel die Chan-
cen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder
wirkt er bremsend?
Allmendinger:
Fakt ist, dass die Wirtschaft auf Frauen nicht ver-
zichten kann – auf allen Ebenen, dies gilt auch für Führungs-
positionen. Die Bevölkerungszahl sinkt und damit auch die
Zahl der Männer im erwerbsfähigen Alter. Heute gilt mehr
denn je: Will man freie Positionen mit den besten und fä-
higsten Menschen besetzen, muss man verstärkt auf Frauen
zurückgreifen. Dies birgt allerdings die Gefahr, dass die Ge-
burtenrate noch weiter zurückgeht. Insbesondere gut ausge-
bildete Frauen, die Karriere machen, haben in Deutschland oft
keine oder nur wenige Kinder.
Wenn also Frauen als potenzielle Führungskräfte entdeckt
werden, müssen wir in besonderem Maße daran arbeiten,
dass auch ein Familienleben ermöglicht wird. Wir müssen
zeigen, dass eine Frau mit Familie hochwillkommen ist. An-
dernfalls erhöht der demografische Wandel zwar die Chancen
von Frauen im Arbeitsmarkt, bremst aber die demografische
Entwicklung. Ob allerdings kluge Frauen unter den heutigen
Bedingungen überhaupt Karriere machen wollen, ist eine ganz
andere Frage.