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Zwar hat der US-amerikanische Managementforscher
Timothy Judge von der University of Notre Dame mit einer
Metaanalyse 2001 die positive Beziehung zwischen Arbeitszu-
friedenheit und Leistung als eher schwach bis mittel gekenn-
zeichnet. Und der verstorbene Tübinger Wirtschaftspsychologe
Michael Riketta hat den Effekt von Arbeitszufriedenheit auf die
spätere Arbeitsleistung in einer Wirksamkeitsstudie 2008 für
überschätzt erklärt. Dennoch ist Volkswirt Binswanger über-
zeugt, dass Unzufriedenheit massive Folgen für die Produktivi-
tät hat. Er setzt bei dem Sinn der Arbeit an. Mitarbeiter, die sich
nicht wertgeschätzt fühlen, orientieren sich mit ihrem Engage-
ment anderswo, verwirklichen sich in der Freizeit, bauen ihr
Selbstwertgefühl außerhalb des Betriebs auf, obwohl sie viel
Zeit am Arbeitsplatz verbringen. Arbeitnehmer stellen sich die
Frage: Wozu arbeiten wir? Diese Frage wirft für Unternehmen
ein Dilemma auf. Denn das Spannungsfeld der privaten Haus-
halte, deren Basis ein Einkommen aus abhängiger Beschäfti-
gung ist, liegt zwischen wirtschaftlicher Nutzenmaximierung
und persönlichem Wohlbefinden. „Wenn das Einkommen zum
alleinigen Ziel wird, wie es heute vielfach der Fall ist“, so Pro-
fessor Binswanger, „fehlt oft die Freude an der Arbeit – und das
macht unzufrieden.“
Achillesferse Führung
Dem würde auch Karlheinz Ruckriegel zustimmen. Der Profes-
sor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule
Nürnberg Georg Simon Ohm gehört zu den ersten Wirtschafts-
wissenschaftlern, die sich in Deutschland mit Glücksforschung
beschäftigt haben – und oft mit einem nicht immer freund-
lichen Lächeln bedacht wurden.
Jetzt, wo es sich herumspricht, dass Wohlbefinden im Ar-
beitsleben künftig eine erhebliche Rolle spielen wird, kom-
men seine Ideen zum Zuge: Work-Life-Balance, Burn-Out,
Arbeitskräfteknappheit haben für Firmen heute schon kon-
V. l. n. r.: Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel (Technische Hochschule Nürnberg), PD Dr. Mathias Binswanger (Fachhochschuie
Nordwestschweiz, Olten), Prof. Dr. Wolfgang Maennig (Universität Hamburg)
krete Auswirkungen. „Der Arbeitsmarkt hilft uns, anders auf
Beschäftigte einzugehen“, sagt Ruckriegel und räumt ein: „Na-
türlich können Sie einen Mitarbeiter nicht glücklich machen,
wenn dieser nicht glücklich sein will.“ Aber unterhalb dieser
Schwelle gebe es viel zu tun.
In Unternehmen sei Führung die Achillesferse, meint Pro-
fessor Ruckriegel und kann zum Beleg Studien aufzählen vom
OECD Better Life Index bis zur jährlichen Gallup-Befragung
über die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. „Da geht uns viel
Humankapital verloren“, betont der Forscher. Führung wer-
de technokratisch gesehen, sie sei nicht auf den Menschen
ausgerichtet. „Wir haben da eine Glücksbaustelle, aber keinen
Bauplan“, so Volkswirt Ruckriegel. Das Potenzial derer zu he-
ben, die nicht gerne arbeiten, würde die Produktivität erhöhen
und Gewinn bringen.
Hart geht der Glücksforscher mit den Vorgesetzten ins Ge-
richt: „50 Prozent der Führungskräfte passen nicht in ihren
Job, zu dem es gehört, sich um Menschen zu kümmern.“ Die
Hinwendung zu den Beschäftigten wird umso wichtiger, je län-
ger Menschen arbeiten. „Gesundes Führen mit den Erkenntnis-
sen der Glücksforschung“ – so der Titel des aktuellen Werks
von Karlheinz Ruckriegel – zeigt Unternehmen und Führungs-
kräften, wo sie ansetzen können, damit „der Mensch in die
Ökonomie zurückkehrt“.
Für den Volkswirt Ruckriegel ist Wohlbefinden ein interdiszi-
plinäres Thema: Die Win-Win-Situation für Unternehmen inte-
ressiert Betriebswirte wie Psychologen, die Auswirkungen auf
die Wirtschaftspolitik beschäftigt Soziologen wie Volkswirte, die
Frage nach der Gesundheit der Mitarbeiter stellt sich Medizi-
nern wie Organisationspsychologen. Personalmanager, die Mit-
arbeiter rekrutieren und binden sollen mit einer Firmenkultur,
die die Arbeitgeberattraktivität steigert, brauchen Studienergeb-
nisse mit Realitätsbezug. Sicher ist also: Das Forschungsthema
hat Zukunft.
© STEFFEN GIERSCH, DRESDEN