PERSONALquarterly 01 / 15
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_DIE WAHRHEIT HINTER DER SCHLAGZEILE
N
icht erst zum Jahreswechsel mit seinen Vorsätzen
und guten Wünschen, sondern ganzjährig sind die
Menschen „Auf der Suche nach dem Glück“, wie
faz.net am 14.9. dieses Jahres in der Sparte „Beruf
& Chance“ titelt. Die Stunden, in denen die meisten Menschen
einen Großteil ihrer Zeit verbringen, geraten bei der Glücks-
suche zunehmend in den Fokus: die Arbeitswelt. Führungsstil,
Arbeitsorganisation und Arbeitsplatzgestaltung ergeben einen
Dreiklang, der über das Seelenleben der Mitarbeiter mitbe-
stimmt. In faz.net stellt MIT-Professor Otto Scharmer, Mitbe-
gründer des Global Wellbeing and Gross National Happiness
Lab, zur Analyse die Kernfrage: „Welchen Ratschlag soll Ihr
zukünftiges Ich Ihrem heutigen Ich geben?“
Die Glückssuche in Unternehmen und Organisationen ist
nicht altruistisch oder gar esoterisch motiviert. Vielmehr geht
es um Erfolg und Gewinn. Deshalb hören Manager zu, wenn
Wissenschaftler ihre Studienergebnisse rund um Arbeits- und
Lebenszufriedenheit, Wohlbefinden oder eben Glück präsen-
tieren. Der Fachkräftemangel, die viel beschworene Genera-
tion Y mit ihren Wünschen an Berufs- und Privatleben, die
Verlängerung des Berufslebens sind gute Gründe, neue Pfade
zu gehen. Die Wirtschaftswoche schreibt in ihrer Rubrik „Beruf
und Erfolg“: „Wer seinen Job mag, hält länger durch“ oder auch
„Natürlich muss der Job Spaß machen“. Das sind Töne, die
dem Kennzahlenwahn in der Personalpolitik ausgesprochen
weiche Faktoren entgegensetzen – allerdings welche, deren
Basis harte Fakten sind.
Verlust an Lebenszufriedenheit
So hat Wolfgang Maennig, Professor für Volkswirtschaftslehre
an der Universität Hamburg, die Ökonomie fest im Blick, wenn
er Glück untersucht, wobei der Wirtschaftswissenschaftler lie-
ber von Lebenszufriedenheit spricht. „Manche wundern sich,
dass Volkswirte sich mit Lebenszufriedenheit beschäftigen“,
sagt der Forscher. „Sie denken, das sei Sache der Psychologen.
Dabei haben die Volkswirte von Anfang an untersucht, wie die
Wohlfahrt einer Nation oder der Nutzen der Haushalte maxi-
miert werden kann. Nutzen, Wohlfahrt, Lebenszufriedenheit
sind Begriffe, die sehr dicht beieinander liegen.“ Maennig und
sein Team nutzen als Datenbasis das sozioökonomische Panel.
Zur Glücksforschung tragen Volkswirte und Soziologen, Betriebswirte und Psychologen
unterschiedliche Aspekte bei – und die Personaler profitieren von den Ergebnissen.
Wohlbefinden und Leistung
Bisher fanden sie zum Beispiel eine unbeachtete Asymmetrie
bei der Arbeitslosigkeit. Menschen, die arbeitslos werden,
erleiden einen erheblichen Verlust an Lebenszufriedenheit.
Wenn sie dann wieder einen Job finden, steigt die Lebenszufrie-
denheit, aber nicht mehr auf das frühere Niveau. Menschen,
die schon einmal arbeitslos waren, sind im neuen Job nicht so
glücklich wie Menschen, denen die Erfahrung von Arbeitslo-
sigkeit bisher erspart blieb.
Was aber genau Glück für das Engagement am Arbeitsplatz
bedeutet, hat der Volkswirt nicht eruiert. Maennig nimmt
sich stattdessen jetzt ein anderes emotionsgeladenes Thema
unserer Gesellschaft vor, die sich über Arbeit definiert: die
Sonntagsneurose. In der mittleren Bildungsschicht trifft sie
Männer, mit höheren Bildungsabschlüssen sind auch Frauen
mit von der Partie, und zwar samstags und sonntags. Und
er hat einen weiteren Rhythmus in der Lebenszufriedenheit
gefunden: Zum Ende des Monats trübt sich die Stimmung bei
Männern mit geringer Bildung ein. Was möglicherweise eher
in mangelnder Liquidität gründet und nicht an einer gefühlt
schlechten Stimmung liegt.
Verdrängung von Kreativität
Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an
der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privat
dozent an der Uni St. Gallen, macht den Schritt in die betrieb-
liche Praxis. Für ihn gilt unbestritten, was ein unbekannter
Aphoristiker in die Welt setzte: Geld allein macht nicht glück-
lich! Der Ökonom fragt, was das für Betriebe bedeutet, was
für Führungskräfte, die an einer längerfristigen Arbeitszu-
friedenheit interessiert sind, weil Zufriedenheit, Motivation
und Leistung in einem Dreiecksverhältnis stehen. „Systeme,
die auf dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche aufbauen,
verdrängen die Freude an der Arbeit und damit auch die Kre-
ativität“, sagt Binswanger. Das Locken mit Boni hält er für
kontraproduktiv. Mit Bonussystemen würden alle Mitarbei-
ter unter den Generalverdacht der Leistungsverweigerung
gestellt. Und das in Zeiten, in denen zumindest in der Per-
sonaltheorie der Ruf nach sich selbst steuernden Teams und
starker Eigenverantwortung auf allen Unternehmensebenen
lauter wird.
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin, Düsseldorf