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ESSENTIALS
_REZENSIONEN
PERSONALquarterly 01 / 15
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orstellungsgespräche dienen in erster Linie dazu, die
Eignung von Bewerbern für eine vakante Position
zu beurteilen. Zugleich sollen Bewerber aber auch
für den Job und das Unternehmen als Arbeitgeber
begeistert werden. (K)Ein Widerspruch? Bislang hatte die For-
schung keine eindeutige Antwort auf diese Frage zu bieten, da
nicht geklärt ist, ob die Beurteilung von dispositionalen, d.h. re-
lativ stabilen und dauerhaften (Persönlichkeits-)Eigenschaften
automatisch abläuft oder den gezielten Einsatz kognitiver Res-
sourcen erfordert und deshalb nach ungeteilter Aufmerksam-
keit verlangt. Erstere Sichtweise wird von Studien unterstützt,
die bei hoher Aufmerksamkeit auf den Beurteilungsprozess
sogar weniger akkurate Einschätzungen dispositionaler Ei-
genschaften nachweisen. Für die zweite Sichtweise hingegen
sprechen Studien, die demonstrieren, dass die gezielte Konzen
tration auf den Beurteilungsprozess den Einfluss von Stereo-
typen reduzieren und Rückschlüsse auf Basis unzureichender
oder irrelevanter Informationen verhindern kann.
Bezogen auf Vorstellungsgespräche stellt sich die Frage, ob
ein Konflikt besteht zwischen der Motivation, den Bewerber
für den Job und das Unternehmen zu begeistern („Verkaufs
orientierung“), und der Motivation, die spätere Job Perfor-
mance des Bewerbers mittels einer akkuraten Beurteilung
dispositionaler Eigenschaften vorhersagen zu können. Um ei-
ne Antwort auf diese Frage zu finden, haben Jennifer Carson
Marr und Dan M. Cable zunächst eine experimentelle Studie
mit einem simulierten Bewerbungsgespräch durchgeführt,
um die Befunde anschließend mittels zweier Feldstudien
mit professionellen Interviewern und Bewerbern für MBA-
Programme sowie internationalen Bewerbern für Lehrerposi-
tionen zu untermauern.
In der experimentellen Studie untersuchten Marr und Ca-
ble den Einfluss der Verkaufsorientierung auf die Überein-
stimmung der selbstberichteten und der von Interviewern
eingeschätzten zentralen Selbstbewertung von Bewerbern.
Die zentrale Selbstbewertung kann als eine sehr weit gefasste
Persönlichkeitseigenschaft betrachtet werden, welche die nütz-
liche Eigenschaft aufweist, unter allen Persönlichkeitseigen-
schaften den Berufserfolg (Job Performance, Arbeitsmotivation
etc.) am besten vorherzusagen. Die Verkaufsorientierung der
Probanden in der Interviewer-Rolle wurde mittels der Instruk
tion, primär auf die Beurteilung vs. die Attraktion des Bewer-
bers zu fokussieren, manipuliert.
Plädoyer für die formale Trennung der Attraktion und
Evaluation von Bewerbern
Jennifer Carson Marr
(Georgia Institute of Technology) &
Dan M. Cable
(London Business School): „Do interviewers sell themselves short?
The effects of selling orientation on interviewers' judgments.” Academy of Management Journal, 2014, Vol. 57, No. 3, pp. 624–651.
Die Ergebnisse des Experiments: Wenn die Beurteilung des
Bewerbers im Vordergrund steht, stimmen Selbsteinschät-
zung des Bewerbers und Beurteilung seitens des Interviewers
miteinander überein. Steht hingegen die Attraktion bzw. er-
folgreiche Rekrutierung des Bewerbers im Vordergrund, zeigt
sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen Selbst- und
Fremdeinschätzung. Dementsprechend waren die Interviewer
unter dieser Bedingung nicht in der Lage, zwischen hoher und
niedriger zentraler Selbstbewertung zu unterscheiden bzw.
zuverlässige Prognosen bezüglich zukünftiger Leistungen ab-
zugeben.
Auf diesem Befund aufbauend haben Marr und Cable mit-
tels der Feldstudien zusätzlich den Zusammenhang zwischen
der Einschätzung der zentralen Selbstbewertung des Bewer-
bers durch den Interviewer und der Leistung on the Job zu
einem späteren Zeitpunkt untersucht. Wie erwartet, konnten
Interviewer mit einer hohen Verkaufsorientierung während
des Vorstellungsgesprächs die zentrale Selbstbewertung des
Bewerbers nur so ungenau einschätzen, dass sich kein Zu-
sammenhang zwischen dieser Einschätzung und den späteren
Leistungen des Bewerbers feststellen ließ. Interviewer mit ge-
ringer Verkaufsorientierung hingegen konnten die zentrale
Selbstbewertung des Bewerbers hinreichend genau einschät-
zen, sodass sie zu einer zuverlässigen Prognose der späteren
Leistung des Bewerbers in der Lage waren.
Die Ergebnisse der Studien von Marr und Cable bieten eine
Erklärung für das Phänomen, dass sich Einstellungen häufig
trotz (oder gerade wegen) eines anfänglich positiven Eindrucks
letztlich als Fehlentscheidungen herausstellen. Ironischerwei-
se sind Interviewer umso weniger in der Lage, den Bewerber
zu beurteilen und darüber dessen zukünftigen Erfolg on the
Job zu prognostizieren, je stärker sie dazu motiviert sind, den
Bewerber von der vakanten Position und dem Unternehmen
als Arbeitgeber zu überzeugen. Für die Personalpraxis ergibt
sich hieraus die Empfehlung, Rekrutierungsbemühungen
nach Möglichkeit formal von der Beurteilung des Bewerbers
zu trennen. Insbesondere kleinere Unternehmen, die reputa-
tionsbedingt stärker darauf angewiesen sind, Bewerber von
ihrem Wert als Arbeitgeber zu überzeugen, könnten hiervon
profitieren.
Besprochen von
Benjamin P. Krebs
, Lehrstuhl International
Business, Universität Paderborn