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SCHWERPUNKT
_WORK-LIFE-BALANCE
anderen Seite. Diese Austauschbeziehungen sind jedoch nicht
immer ausgeglichen. Siegrist (1996) vertritt die These, dass
ein Ungleichgewicht von hohen Arbeitsbelastungen und weni-
gen Gratifikationen (ERI>1) dauerhaften Distress bei Beschäf-
tigten auslöst. Ein solches Ungleich gewicht wiederum kann
gesundheitliche Folgen wie Depressionen oder Herzkreislauf­
erkrankungen haben (Siegrist und Dragano 2008). Dieser Ver-
mutung entsprechend korreliert die subjektive Einschätzung
des Gesundheitszustands mit dem Indikator ERI signifikant
negativ (r=-.24, p=0.000).
Bei höherer Beanspruchung eines Mitarbeiters, wie es bei
der Rufbereitschaft der Fall ist, sollten somit auch die Gra-
tifikationen höher sein, um Belastungen abzufedern. Abbil-
dung 1 veranschaulicht anhand der dargestellten Waagen den
Mittelwertvergleich zwischen abhängig Beschäftigten mit und
ohne Rufbereitschaft. Die beiden Kugeln stellen dabei rechts
Effort und links Reward dar, deren Durchmesser und vertika-
le Ausrichtung der Höhe des jeweiligen Wertes entsprechen.
Die daraus errechnete Effort-Reward-Imbalance wird durch
den Zeiger dargestellt. Befinden sich beide Bereiche in einem
Gleichgewicht, steht der Zeiger auf 1, überwiegen die Beloh-
nungen, weist der Zeiger auf einen Wert unter 1 bzw. nach
rechts. Die Beschäftigten mit Rufbereitschaft zeigen gegenüber
der Vergleichsgruppe durchschnittlich höhere berufliche Belas­
tungen (t-Test, p=0.000) und einen niedrigeren Reward-Mittel-
wert (t-Test, p=0.000). Die Effort-Reward-Imbalance liegt bei
durchschnittlich 0,71, was bedeutet, dass mit Rufbereitschaft
höhere berufliche Anforderungen bei geringerer wahrgenom-
mener Belohnung einhergehen (t-Test, p=0.000). Da sich die
Beschäftigten im Durchschnitt im Balance-Bereich befinden,
besteht die Gefahr einer Gratifikationskrise nicht unbedingt.
Allerdings zeigt sich, dass Rufbereitschaftsleistende höheren
beruflichen Anstrengungen ausgesetzt sind und weniger Be-
lohnungen erhalten als Beschäftigte der Vergleichsstichprobe.
Bei Betrachtung der Beschäftigten, die eine Effort-Reward-
Imbalance oberhalb des kritischen Schwellenwertes 1 haben,
zeigt sich, dass sich 18% der Rufbereitschaftsdienstleistenden
in einer Imbalance befinden. In der Vergleichsstichprobe sind
es mit 13% signifikant weniger (chi²-Test, p=0.009).
Einfluss des Arbeitszeitmodells
Über den bivariaten Vergleich hinaus ist der Einfluss von
Rufbereitschaft auf den ERI-Indikator im Kontext weiterer
Variablen zu untersuchen. Im multivariaten Regressionsmo-
dell berücksichtigen wir zusätzlich zur Rufbereitschaft das
grundlegende Arbeitszeitmodell des jeweiligen Beschäftigten.
Die Hypothese lautet, dass sowohl Regelhaftigkeit als auch
Souveränität in der Zeitgestaltung helfen, Arbeit und andere
Lebensbereiche in Einklang zu bringen und entsprechend als
Anreize gelten können. Ähnlich argumentieren wir bezüglich
der Autonomie, einer aus der Stellung in der beruflichen Hie­
rarchie und dem beruflichen Prestige kombinierten Skala.
Sowohl ein hohes Maß an Fremdbestimmtheit als auch ein
hohes Maß an Selbstständigkeit sind Möglichkeiten, um Stress
zu regulieren. Ferner berücksichtigen wir unter den weiteren
betrieblichen Variablen, ob der Befragte Führungsaufgaben
innehat und in welcher Branche der Arbeitgeber angesiedelt
ist. Bezüglich der Person kontrollieren wir für das Alter der
Befragten – einschließlich eines nicht-linearen Terms, um den
zunächst abfallen Verlauf und den im höheren Alter wieder
ansteigenden ERI-Wert abbilden zu können –, das Geschlecht,
das Einkommen und die Frage, ob Kinder unter 16 Jahren im
Haushalt leben.
Abbildung 2 beinhaltet in der letzten Spalte auch die Effekte
einiger der berücksichtigten Variablen. Insbesondere zeigt
sich, dass Rufbereitschaft auch in multivariater Betrachtung
die subjektive Effort-Reward-Bilanz signifikant verschlech-
tert. Freiheitsgrade in Arbeitszeitmodellen wirken nur dann
entlastend, wenn die Souveränität über die Zeiteinteilung
beim Arbeitnehmer liegt. Allerdings ist der Effekt autono-
mer Arbeitsgestaltung nicht signifikant. Die Übernahme von
Führungsaufgaben verschlechtert zwar im Allgemeinen die
Quelle: Eigene Darstellung
Abb. 2:
Regressionsmodell (Auszug)
Variablenname
Ausprägung
Koeffizienten
Rufbereitschaft
0.046 *
Arbeitszeitmodell
fest
------
wechselnd
0.064 ***
gleitend
0.064 ***
autonom
- 0.010
Autonomie
manuelle Tätigkeiten
------
geringe Spezialisierung
0.051 **
beschränkte Verantwortung
0.129 ***
hohes Bildungsniveau
0.125 ***
leitende Tätigkeit
0.090 **
Führungsposition
0.100 ***
N = 6618
R² = 0.066***
p =< 0,000 “***“; p =< 0.001 “**“; p =< 0.01 “*“