Seite 31 - PERSONALquarterly_2015_01

Basic HTML-Version

31
01 / 15 PERSONALquarterly
ABSTRACT
Forschungsfrage:
Es wird der Einfluss von Zeitstress durch Flexibilisierung auf die Anstren-
gungs-Belohnungs-Balance von Arbeitnehmern am Beispiel von Rufbereitschaft ermittelt.
Methodik:
Auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (G-SOEP) wird der Einfluss von
Rufbereitschaft unter Berücksichtigung von individuellen und organisationalen Variablen
geprüft.
Praktische Implikationen:
Die Ergebnisse belegen die Belastung selbst im Fall formalisier-
ter Flexibilisierung. Es ist zu vermuten, dass die Zusammenhänge auch für weiter verbreitete
informelle Formen der raum- und zeitlichen Verfügbarkeit gelten.
bestehen, insbesondere im internationalen Schrifttum recht
unterschiedliche Definitionen, was Vergleiche von Studien er-
schwert. Im deutschen Kontext handelt es sich um Arbeitszeit,
die zusätzlich zur regulären Arbeit geleistet wird. Die rechtliche
Grundlage für die Ausgestaltung und Organisation der Rufbe-
reitschaft liefert die Arbeitszeitverordnung (AZV). Nach AZV
§12 Satz 1 handelt es sich bei Rufbereitschaft um Ruhezeit;
kommt es jedoch zu einem Einsatz, handelt es sich um (vergü-
tete) Arbeitszeit. Der Rufbereitschaftsleistende ist verpflichtet,
seinem Arbeitgeber den (frei wählbaren) Aufenthaltsort wäh-
rend der Rufbereitschaft mitzuteilen und muss gewährleisten,
dass die Entfernung zum Einsatzort in der vorgeschriebenen
Zeit zu erreichen ist (Baeck/Deutsch 1999). Rufbereitschaft
kann einzelvertraglich, aber auch über einen Tarifvertrag gere-
gelt sein (Hempelmann et al. 2013, S. 357).
Forschungsvorhaben
Im Rahmen eines vom BMBF geförderten Forschungsvorhabens
untersuchten wir Verbreitung, Einsatzformen und Folgen von
Rufbereitschaft (Bamberg et al. 2013). Bezüglich der Verbreitung
variieren die Schätzungen in Abhängigkeit von der Datenbasis
und den einbezogenen Formen (Bereitschaftsdienste, Rufbe-
reitschaft, Arbeit auf Abruf) zwischen 4 und knapp 22% aller
abhängig Beschäftigten in Deutschland erheblich (Tobsch et­ al.
2014). Typische Branchen, in denen Rufbereitschaft Anwendung
findet, sind die Energie- und Wasserversorgung (81,3 %),­öffent-
liche Dienstleistungen (59,2%), das Gesundheits- und Sozialwe-
sen (56,9%), aber auch das Finanz- und Versicherungsgewerbe
(53,3%) und das verarbeitende Gewerbe (44%­aller Betriebe, ei-
gene Erhebung 2011, Tobsch et al. 2014). Die Befunde zu den
Wirkungen von Rufbereitschaft auf die Beschäftigten fassen
Nicol und Botterill (2004) für die seit 2000 veröffentlichten Stu-
dien zusammen. Insgesamt zeigt sich ein negativer Einfluss,
insbesondere wenn lange Rufbereitschaften geleistet werden.
Weiterhin wird die Schlafqualität während der Rufbereitschaft
als schlechter eingeschätzt als an rufbereitschaftsfreien Tagen.
Ferner wird das soziale Leben durch die geforderte Flexibilität
eingeschränkt, was sich negativ auf den emotionalen Zustand
der Probanden auswirkt. Auch nimmt in der Rufbereitschaft
die Sicherheit der Beschäftigten ab, da sie dann vermehrt Über-
griffen ausgesetzt sein können. Die arbeitspsychologischen
Studien im Rahmen unseres Verbunds belegen, dass sich
Rufbereitschaft, unabhängig davon, ob es zu einem Einsatz
kommt, negativ auf Befinden, Schlaf und soziale Beziehungen
der Probanden auswirkt (Keller et al. 2012).
Die vorliegenden Studien zu den Wirkungen von Rufbe-
reitschaft sind i.d.R. reich an Variablen, jedoch arm an Fällen
bzw. fokussieren nur eine oder wenige Berufsgruppe(n). Die
Verallgemeinerung der Befunde auf Basis allgemeiner Bevöl-
kerungs- bzw. Erwerbstätigenbefragungen war eine abschlie-
ßende Aufgabe unseres Projekts. Dazu nutzten wir hier das
sozio-oekonomische Panel (Wagner et al. 2007), welches die
Variable Rufbereitschaft 2011 erstmals in die reguläre Befra-
gung aufgenommen hat (Tobsch/Schult 2012). Datenbasis un-
serer Studie sind abhängig Beschäftigte (Arbeiter, Angestellte
und Beamte) im Alter von 18 bis 65, die an dieser auf Haus-
haltsebene für die deutsche Wohnbevölkerung repräsentativen
Befragung teilgenommen haben. Insgesamt verbleiben in un-
serem bereinigten Datensatz 6815 Beschäftigte, wovon 5,0% in
Rufbereitschaft arbeiten.
Rufbereitschaft – dies deuten die rechtlichen Rahmenbe-
dingungen bereits an – ist i.d.R. eine in hohem Maße forma-
lisierte Form der Arbeitszeitflexibilisierung. Empirisch geht
Rufbereitschaft darüber hinaus mit einem normalen Arbeits-
verhältnis einher: 87% der Erwerbstätigen mit Rufbereitschaft
arbeiten Vollzeit. Nur 12% der Rufbereitschaftler sind in Teil-
zeit und 1,5% geringfügig beschäftigt. Dass atypische Beschäf-
tigungsverhältnisse im Bereich der Rufbereitschaft signifikant
unterrepräsentiert sind (chi²-Test, p=0.000), bestätigt die Be-
hauptung der Geordnetheit von Rufbereitschaft. Dennoch, so
wollen wir im Folgenden zeigen, gehen selbst mit dieser Form
der Flexibilisierung stressinduzierende Belastungen einher.
Abhängige Variable unserer Studie ist die Effort-Reward-
Imbalance (ERI) nach Siegrist. Dieses Maß ist in Anlehnung
an tauschtheoretische Überlegungen konzipiert und reflektiert
den Austausch von Anreizen und Beiträgen in Organisationen.
Siegrist spricht dabei von Arbeitsbelastungen wie Zeitdruck,
Arbeitsunterbrechungen oder einem größer werdenden Ar-
beitsaufkommen auf der einen Seite und von Gratifikationen
wie Einkommen, Anerkennung oder Beförderungen auf der