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ork-Life-Balance und damit ein gelungenes Zu-
sammenspiel von Arbeit und Familienleben
ist ein Thema mit zunehmender gesamtgesell-
schaftlicher Relevanz. Dazu tragen vielfältige
Faktoren bei, etwa eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen,
die Zunahme sogenannter Dual Career Couples, die wachsende
Instabilität von Paarbeziehungen mit einem steigenden Anteil
von Alleinerziehenden und Patchwork-Familien und nicht zu-
letzt der Strukturwandel, der sich unter anderem durch stei-
gende Arbeitsbelastungen, eine weite Verbreitung prekärer
Beschäftigungsverhältnisse und hohe Anforderungen an die
räumliche Mobilität äußert (Resch/Bamberg, 2005; Wiese,
2007). Personalarbeit beruht beim Umgang mit diesen Heraus-
forderungen häufig auf der Annahme, dass Erwartungen und
Verpflichtungen der Arbeitswelt mit denen des Familienlebens
inkompatibel sind, da sie auf den gleichen Pool von begrenzten
Ressourcen – Zeit, persönliche Energie – zugreifen. Ziel der
Personalarbeit ist daher meist, mehr zeitliche Ressourcen zu
schaffen. Dies wird zum Beispiel durch das Anbieten von Teil-
zeitregelungen angestrebt, oder man versucht, durch flexible
Arbeitszeitmodelle zumindest auftretende Konflikte zwischen
Arbeit und Familienleben zu reduzieren.
Diese Perspektive birgt jedoch drei Probleme: Erstens führt
sie dazu, dass Arbeits- und Familienleben in einer Weise künst-
lich getrennt werden, die der heutigen Arbeitswelt nicht gerecht
wird. Zweitens wird damit Arbeitsleben nahezu reflexartig aus-
schließlich mit Stress assoziiert; dass Arbeit auch eine positive
Bedeutung hat, wird ignoriert. Drittens wird das Problem der
Ausbalancierung beider Bereiche auf das Individuum verlagert
– mit den häufig zu beobachtenden Karrierenachteilen. So ist
beispielsweise Teilzeitarbeit oftmals mit einer deutlichen Re-
duzierung von Karrierefortschritten assoziiert und zudem für
viele aus ökonomischen Gründen keine Option. Ein ganzheit-
liches Verständnis der Bereiche Arbeit und Familie hingegen
müsste verstärkt die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen
dem Arbeits- und Lebensbereich thematisieren. Somit würde
gleichzeitig die Verantwortung für eine gelungene Work-Life-
Balance weg vom Individuum hin zu der Frage gelenkt, wie
das Gesamtunternehmen Ressourcen für eine positive gegen-
seitige Beeinflussung von Arbeit und Privatleben bereitstellen
Work-to-Family Spillover: Wie Ressourcen
das Familienleben stärken und entlasten
Von
Prof. Dr. Annett Hüttges
(Medical School Berlin) und
Prof. Dr. Doris Fay
(Universität Potsdam)
kann (Gregory/Milner, 2009; Grzywacz/Butler, 2005). Aktuell
wird in der organisationspsychologischen Forschung durch das
Konzept der Spillover-Effekte einerseits der potenziell positive
Einfluss von Arbeit für die Familie berücksichtigt, andererseits
die Durchlässigkeit beider Bereiche angesprochen.
Spillover-Effekte: Konflikte und Synergie von Arbeit und
Privatleben
Spillover-Effekte kennzeichnen Übertragungseffekte innerhalb
ein und derselben Person vom Arbeitsbereich auf den Familien-
bereich und umgekehrt (Bakker et al., 2009). Dieser Beitrag kon-
zentriert sich auf eine Richtung der Spillover-Effekte, derjenigen
vom Arbeits- auf das Familienleben (Work-to-Family Spill­over;
Grzywacz/Marks, 2000). Spillover-Effekte beschränken sich
nicht nur auf negative Einflüsse der Arbeit auf Familie, sondern
im Sinne eines positiven Spillovers berücksichtigen sie auch po-
tenzielle Bereicherungen des Familienlebens durch arbeitsbezo-
gene Erfahrungen. Negativer Spillover aus dem Arbeits- auf den
Familienbereich tritt beispielsweise auf, wenn arbeitsbezogener
Stress zu einer höheren Reizbarkeit gegenüber Familienmitglie-
dern oder aber einer geringeren Aufmerksamkeit gegenüber
wichtigen häuslichen Dingen führt. Es fehlt dann nach einem
ermüdenden Arbeitstag die Kraft, geplante Familienaktivitäten
auch tatsächlich anzupacken. Stattdessen wandern die Gedan-
ken immer wieder zu arbeitsbezogenen Problemen und lenken
vom Familienleben ab. Andererseits können bei einem positiven
Spillover berufliche Erfolgserlebnisse einen positiven Einfluss
auf die persönliche Entwicklung einer Person und die famili-
äre Situation nehmen. So können arbeitsbezogene Erfahrungen
bei alltäglichen Problemstellungen und praktischen Problemen
auch zu Hause hilfreich sein. Daneben ist denkbar, dass Erfolgs-
erlebnisse in der Arbeit einer guten Stimmung in der Familie
zuträglich sein können und mit der Familie gern geteilt werden.
Last but not least gibt das verdiente Geld das Gefühl, einen wich-
tigen Beitrag für das Familienleben zu leisten.
Querschnittstudien und Längsschnittstudien weisen auf wohl-
befindens- und gesundheitsförderliche Auswirkungen dieser
positiven Synergieeffekte hin (Wiese, 2007), während negativer
Spillover nachweislich mit Verschlechterungen der psychischen
und physischen Gesundheit, demWohlbefinden und der Partner-