Seite 56 - PERSONALquarterly_2013_04

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_Die Wahrheit hinter der Schlagzeile
D
ie Zahlen sprechen eine drastische Sprache: Rund je-
der vierte Auszubildende beendet die Lehre nicht und
etwa ebenso viele junge Menschen hören noch in der
Probezeit mit dem Freiwilligen Wehrdienst auf. Die
Überschriften und gefetteten Vorspänne in den Medien malen
teils ein Bild von durchhalteunwilligen Jugendlichen: „Lehr-
jahre sind keine Herrenjahre“ titelt der MDR am 25.1.2013
online – und es klingt altmodisch-verständnislos, wenn es
weiter heißt: „Heute gilt: Ausbildung soll Spaß machen!“. DIE
WELT überschreibt den Artikel über die Auswertung des BIBB-
Berufsbildungsberichts (BIBB = Bundesinstitut für Berufsbil-
dung) am gleichen Tag mit: „Jeder vierte Azubi schmeißt seine
Lehre hin“.
Teils kriegen auch die Arbeitgeber ihr Fett weg. Vor allem die
Bundeswehr: „Kein Bock auf Bundeswehr“ steht am 14.6.2013
auf taz-online, „Bundeswehr laufen die Soldaten davon“ mel-
det N24.de am gleichen Tag und ZEIT ONLINE haut mit dem
Vorspannsatz „Die Bundeswehr kann viele ihrer freiwilligen
Wehrdienstleistenden nicht halten“ in die gleiche Kerbe. Hin-
schmeißen, abbrechen, aufgeben, davonlaufen und keinen
Bock haben – die Begriffe sagen alles, nur nichts Positives.
Mainstream-Interpretationen gegen den Strich bürsten
Genau das mobilisiert Professor Walter Krämer, Wirtschafts-
und Sozialstatistiker an der TechnischenUniversität Dortmund.
Gemeinsam mit dem Berliner Psychologen Gerd Gigerenzer
und dem RWI-Vizepräsidenten Thomas Bauer pflegt er die
Website unstatistik.de. Dort analysiert er im April 2013 den
Entwurf des Bildungsberichts aus dem Bundesinstitut für
Berufsbildung (BIBB) in Bonn – und bürstet die journalisti-
schen Mainstream-Interpretationen gegen den Strich. Seine
„Un­statistik des Monats“ macht einen feinen Unterschied zwi-
schen Abbruch und Vertragsauflösung bei Lehrlingen. „Die
Auflösung eines Lehrvertrags ist kein Signal für Erfolglosig-
keit“, behauptet der Statistikprofessor. „Denn es gibt durch-
aus ehrenwerte Gründe zu wechseln.“ Meist seien es sogar
die Besseren, die weggehen. „Oft haben die Abbrecher doch
noch den Platz erlangt, den sie eigentlich wollten“, ergänzt
Hochschullehrer Krämer. „Zum Beispiel einen Studienplatz in
Medizin oder Psychologie.“
Ein Viertel aller jungen Leute kündigt den ersten Vertrag nach ihrem Schulabschluss
vorzeitig. Das kann verschiedene Ursachen haben – und ist nicht grundsätzlich negativ.
Wie aus einem Abbruch ein Umstieg wird
Eine Bestätigung seiner Anti-Katastrophen-Analyse der Be-
rufserstausbildung erhält Professor Krämer vom BIBB selbst;
in einer Sonderauswertung der fast 150.000 Ausbildungsver-
träge, die 2011 vorzeitig aufgelöst wurden. In den 24,4 % der
insgesamt geschlossenen Ausbildungsverträge, die im dualen
Werdegang ohne Abschluss beendet werden, stecken auch die,
die den Ausbildungsbetrieb wechseln, deren Ausbildungsbe-
trieb Pleite geht oder die doch noch eine Lehrstelle in ihrem
Traumberuf erhalten haben.
Die Zahl derjenigen, die ihre erste Ausbildung nicht erfolg-
reich beenden, reduziert sich so laut BIBB auf 12 %. Und selbst
von diesen startet ein Drittel innerhalb der folgenden 24 Mo-
nate wieder eine Lehre. Rechnet man Ausbildungsformen wie
Studium, Beamten- und Schulausbildung hinzu, startet sogar
knapp die Hälfte erneut durch.
Günter Walden, Leiter der Abteilung Sozialwissenschaftliche
Grundlagen der Berufsbildung im BIBB, sieht in der leicht stei-
genden Zahl der Vertragslösungen „ein Zeichen der Entspan-
nung auf dem Lehrstellenmarkt“. Für ihn ist es entscheidend,
dass „die jungen Menschen wieder in eine Ausbildung einmün-
den und nicht ohne Berufsausbildung oder Studienabschluss
bleiben.“
BIBB erfasst nicht die Gründe für die Vertragsauflösung
In der BIBB-Berufsbildungsstatistik werden zwar unter ande-
rem Beruf, Geschlecht und Schulabschluss der Auszubilden-
den erfasst, nicht aber ihre Gründe für die Vertragsauflösung.
Während bei Verwaltungsangestellten nur 3,7 % den Vertrag
auflösen, sind es bei Restaurantfachleuten 51 %. Eine höhere
Aufkündigungsquote gibt es auch bei jungen Frauen, Men-
schen mit Migrationshintergrund und Jugendlichen, deren
Eltern keinen Berufsabschluss haben.
Bereits diese Detailauswertung gibt Hinweise darauf, wie
die Berufswahl passgenauer begleitet werden könnte: durch
intensive Beratung und individuelle Information.
Bildungsforscher Walden: „Es gilt, frühzeitig anzusetzen
und die Berufswahl sorgfältig zu treffen.“ Er hält nichts davon,
„dass Jugendliche irgendeine Ausbildung machen, nur um ver-
sorgt zu sein.“ Wer seinen Wunschberuf ergreife, bleibe eher
bis zum Schluss dabei.
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin, Düsseldorf