Seite 17 - PERSONALquarterly_2013_04

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Basierend auf der Tradition des Konfuzianismus betrachten
sich Chinesen häufig als abhängig von dem sie umgebenden so-
zialen Kontext im Gegensatz zu der westlichen Sichtweise einer
klaren Unabhängigkeit des Selbst, in der das Verhalten stark
von den individuellen Eigenschaften und Attributen abhängig
ist (Tsui/Farh, 1997). Diesem Gedankengang folgend, erscheint
auch das bewusste Einschalten Dritter in den Kommunikations-
prozess im chinesischen Kontext als nachvollziehbar.
Es stellt sich die Frage, wann statt des direkten Voice-Ver-
haltens das indirekte Voice-Verhalten Bedeutung erhält. Basie-
rend auf den vorliegenden Daten, scheint die Unterscheidung
in Abhängigkeit von Aspekten zu stehen, die von den Autoren
als Lokalisierungsgrad bezeichnet werden. Abbildung 2 zeigt
den sich aus der Datenanalyse ergebenen Zusammenhang zwi-
schen Identifikation, situativ notwendigem Lokalisierungsgrad
sowie der sich daraus ergebenen Möglichkeit von direktem
oder indirektem Voice-Verhalten. Ein hoher Offenheitsgrad,
sich auf China einzulassen, unterstützt die Entstehung von
Identifikation und stellt damit eine wichtige Vorbedingung für
das Voice-Verhalten dar. Die Ergebnisse der Interviews mit den
chinesisch-westlichen Experten lassen vermuten, dass es bei
geringer Identifikation zwischen Vorgesetztem und Mitarbei-
ter zum Nicht-Sprechen, zum „Silence“ kommt.
Im Falle einer guten Mitarbeiter-Vorgesetzten-Identifikation
erzielt der Vorgesetzte über kooperatives Führungsverhal-
ten in vielen Fällen das von ihm erwünschte Voice-Verhalten
des Mitarbeiters. Allerdings zeigt sich, dass es Situationen
gibt, in denen ein kooperatives Führungsverhalten trotz guter
Mitarbeiter-Vorgesetzten-Identifikation kein Voice-Verhalten
erzeugt. In diesen Situationen nutzen Best-Practice-Voice-Ma-
nager dann die beiden genannten Guanxi-Voice-Praktiken, um
die Meinung des Mitarbeiters auf indirektemWeg zu erfahren.
Zur Unterscheidung dieser Situationen wird der Ausdruck des
Lokalisierungsgrades gewählt. Unter Lokalisierungsgrad ver-
stehen die Autoren den Grad der Chinaspezifität der jeweiligen
Situation. Abbildung 3 fasst wesentliche sich aus den Inter-
views mit den Best-Practice-Voice-Führungskräften ergebende
Aspekte bezüglich des Unterschieds zwischen niedrigem und
hohem Lokalisierungsgrad zusammen. Sie bietet damit Details
zum besseren Verständnis der horizontalen Achse in Abbil-
dung 2.
Die Analyse der Daten zeigt, dass die Best-Practice-Voice-
Manager in Bezug auf den Lokalisierungsgrad situativ denken
und agieren. Sie decken das in Abbildung 2 genannte gesamte
Spektrum ab, unterscheiden Situationen, in denen entweder
ein geringer oder ein hoher Lokalisierungsgrad Erfolg verspre-
chend ist und sind damit offen sowohl für direktes als auch
indirektes Voice-Verhalten ihrer Mitarbeiter.
Praktische Implikationen für westliche Führungskräfte
In der Praxis betonen westliche Führungskräfte in China
häufig, dass die in Europa erfolgreichen kooperativen Füh-
rungsansätze nicht helfen, um wirklich zu erfahren, was der
chinesische Mitarbeiter denkt und meint. Die unzureichende
Eins-zu-Eins-Identifikation – sozusagen als Vorbedingung, da-
mit kooperative Führungselemente wirksam werden - könnte
dieses Phänomen erklären. Da die Expatriates durch begrenzte
Dauer ihrer China-Entsendung vielfach unter Zeit- und Erwar-
Quelle: Eigene Darstellung
Abb. 2:
Situativ notwendiger Lokalisierungsgrad entscheidet über
Möglichkeit eines direkten und indirekten Voice-Verhaltens
Identifikation des chine-
sischen Mitarbeiters mit
westlichem Vorgesetz-
ten (inkl. Offenheit des
Vorgesetzten, sich auf
China einzulassen)
Situativ notwendiger Lokalisierungsgrad
+
+
-
-
Direktes Voice-
Verhalten
über ­kooperatives
Führungs­verhalten
Indirektes Voice-
Verhalten
über Guanxi-Voice-
Praktiken
Silence
Silence