Seite 8 - PERSONALquarterly_2013_03

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Schwerpunkt
_Interview
personalquarterly 03 / 13
PERSONALquarterly:
Welche Instrumente helfen Ihrer Ansicht nach
Chancengleichheit bei der Personalauswahl herzustellen?
Kunze:
Die Herausforderung lautet, sehr unterschiedliche
Lebensläufe objektiv zu vergleichen, nach Regeln, die nach-
vollziehbar sind. In Zeiten, wo der Pool der Bewerber immer
heterogener wird, ist das wahrlich nicht einfach. Die Arbeits-
bevölkerung wird hinsichtlich vieler Merkmale immer unter-
schiedlicher. Denken Sie an Erwerbshistorien von Bewerbern
mit Kleinkindern, die den Arbeitsmarkt wegen Elternzeit zeit-
weise verlassen oder zeitbegrenzt Teilzeit arbeiten. Denken Sie
an Alter – wir überlegen nun, wie Ältere länger in Arbeit blei-
ben können. Denken Sie an Ausbildung: akademische Grade
aus verschiedenen Ländern müssen verglichen werden. Dies
ist sowohl für Einwanderer als auch für Einheimische, die im
Ausland studiert oder promoviert haben, ein aktuelles Thema.
Firmen sind gefordert, die am besten Qualifizierten zu rekru-
tieren, die gleichzeitig auch am besten in die Firma passen.
Die Firmen verlieren, wenn sie bewusst oder unbewusst von
Vorurteilen geleitet werden. Daher sind Instrumente ganz
wichtig, die verhindern, dass solche Vorurteile den Rekrutie-
rungsprozess beeinflussen. Überlegenswert sind hierbei eine
Anonymisierung von Lebensläufen, das bewusste Achtgeben
darauf, dass Frauen und Männer, Ausländer und Einheimische,
in dem Pool der Bewerber vertreten sind und sich über das Wa-
rum Gedanken zu machen, falls dieser Mix nicht gegeben ist.
Möglicherweise muss man andere Kanäle benutzen, um Stel-
len auszuschreiben. ImRekrutierungsprozess ist auch wichtig,
alle Gruppen mitwirken zu lassen.
PERSONALquarterly:
Frühkindliche Bildung gilt weitgehend als
Schlüssel zur Schaffung von Chancengleichheit auch für Mi-
granten. Wird dies auch durch empirische Evidenz gestützt?
Kunze:
In den skandinavischen Ländern wird sehr auf die Inte-
gration von Kindern im frühkindlichen Alter gesetzt. Norwe-
gen ist in der Lage, im Prinzip jedem Kind ab dem Alter von
einem Jahr einen Kindergartenplatz anzubieten. Dies gibt auch
Familien mit Einwanderungshintergrund die Möglichkeit, ih-
re Kinder zweisprachlich aufzuziehen. Politikmaßnahmen wie
das Betreuungsgeld wurden kritisiert, weil sie Anreize für die
Mütter setzen, zu Hause zu bleiben und das Kind die ersten
zwei Jahre in der Muttersprache zu erziehen. Die empirischen
Daten zeigen zwar, dass im Zuge der Ausweitung des Kinder-
betreuungsangebotes ohnehin immer weniger Eltern das Be-
treuungsgeld in Anspruch nehmen. Empirische Studien zeigen
aber ebenfalls, dass unter den 30 % der Eltern von 2-Jährigen,
die es in Anspruch nehmen, jene mit niedriger Qualifikation
und mit Migrationshintergrund überrepräsentiert sind.
PERSONALquarterly:
Was können Deutschland und auch deutsche
Unternehmen von den skandinavischen Erfahrungen lernen?
Kunze:
Man muss schon genauer hinschauen, um zu verstehen,
warum die skandinavischen Länder so weit gekommen sind in
Sachen Gleichstellung von Mann und Frau im Arbeitsmarkt.
Die sehr positive Haltung gegenüber der Verbindung von Fa-
milie und Beruf ist sicherlich sehr wichtig, ebenso die Einsicht,
dass dies nicht ohne Kinderbetreuung geht. Norwegen hat dies
durch ein breites öffentliches Betreuungsangebot gelöst. Aber
auch Firmen können dazu beitragen, dass Kinderbetreuung
positiver angesehen wird und es somit für junge Menschen
leichter wird, sich für Kinder und Beruf zu entscheiden. Firmen
in Deutschland könnten noch mehr Kinderbetreuungsangebote
schaffen. Leider geschieht der öffentliche Ausbau der Kinder-
betreuung in Deutschland zu langsam.
Unternehmen müssten aber auch den Arbeitstag realistisch
anpassen. Das scheint mir ein wichtiger, wenig untersuchter
Aspekt in Skandinavien zu sein. Es kann nicht sein, dass ein
Arbeitstag von 7:30 bis 18 Uhr vor Ort im Betrieb von allen
erwartet wird. Eine gewisse Flexibilität ist da wichtig, und
Motivation und Vertrauen vonseiten der Firmenleitung und
des Arbeitnehmers. In Skandinavien ist es üblich, dass alle
um 16 Uhr die Arbeit verlassen können, um ihre Kinder von
Kindergarten und Schule abzuholen. Das bedeutet auch, dass
Meetings nicht nach 16 Uhr angesetzt werden. Wie man in
internationalen Studien sieht, variieren selbst in Manage-
mentpositionen die Wochenarbeitszeiten erheblich, zwischen
37 Stunden in Frankreich und 46 Stunden in Deutschland.
Wenn solche Positionen attraktiv sein sollen für Eltern, und
auch für Mütter, müssen Firmen Rahmenbedingungen und
eine Kultur schaffen, die zur Vereinbarung von Familie und
Arbeit beitragen.
„Die verpflichtende Anwesenheit zu bestimmten Arbeitszeiten
sollte der Vergangenheit angehören. Flexibilität im Arbeits­
alltag ist vielmehr das Motto der Zukunft.“
Prof. Astrid Kunze