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tismus in Unternehmen. Don Iverson endet mit einemAusblick
auf weiterführende Fragen, die in künftigen Forschungspro
jekten eine Untersuchung verdienen und über Unterneh
mensstudien hinausgehen: „Es ist wichtig, welche Rolle die
Primärversorgungsträger bei Erkennung und Handhabung von
Gesundheitsproblemen der Befragten spielen.“ Auch welche
Art von Interventionen und Technologien zur Bereitstellung
von Interventionen die Befragten mit Gesundheitsbeschwer
den wünschen, muss stärker untersucht werden.
Warum Mitarbeiter krank zur Arbeit gehen
Mit dem Unerforschten beschäftigen sich am Rande eines Prä
sentismus-Reviews auch Bernhard Badura und Mika Steinke
an der Universität Bielefeld. Der inzwischen emeritierte re
nommierte Gesundheitsprofessor und sein wissenschaftlicher
Mitarbeiter durchforsteten für ein Literaturreview 541 Quellen
zum Präsentismus; ins Review übernahmen sie nach näherer
Recherche 285. Bei dieser Vielzahl ergaben sich zwangsläufig
divergierende Definitionen des Begriffs Präsentismus. Aller
dings ließen sich zwei Perspektiven herausfiltern: Die, in der
eine eher individuelle Entscheidung im Mittelpunkt steht, ob
jemand trotz Beschwerden zur Arbeit geht und die, die den Pro
duktivitätsverlust für Unternehmen in den Mittelpunkt stellt,
wenn Mitarbeiter mit mehr oder weniger starken Beschwerden
am Arbeitsplatz zu finden sind.
Die Einflussfaktoren, die in den erfassten Studien manifest
werden, haben drei Schwerpunkte: persönliche wie Alter, Ge
schlecht oder Beziehungsstatus, arbeits- und organisationsbe
dingte wie Unternehmenskultur oder Arbeitsverdichtung und
strukturelle, etwa Arbeitsplatzunsicherheit.
Die meisten Studien beschreiben für die Gesundheit nega
tive Begleiterscheinungen, wenn Menschen mit Beschwerden
weiterarbeiten – mit Ausnahme einer Untersuchung von Mus
kel-Skelett-Erkrankungen. Da förderte das Weiterarbeiten die
Genesung. Evident sind die Ergebnisse zu den Kosten, die für
V. l. n. r.: Prof. Dr. Eberhard Nöfer (Coburg), Prof. Dr. Don Iverson (Wollongong), Mika Steinke (Bielefeld)
© HDP
die Unternehmen beträchtlich sind. Steinke und Badura sehen
für die Zukunft spezifischere Reviews als notwendig und span
nend an. Vor allem fordern sie eine engere Kopplung aus den
eher individuellen Ansätzen der persönlichen Entscheidung
und der unternehmensorientierten Kostenanalyse. Die gemein
same Betrachtung chronischer Erkrankungen wie die Messung
von Befindlichkeitsstörungen ergeben zusammen ein Bild, das
Interventionen verlässlich und sinnvoll erscheinen lässt.
Trend: Überlastung durch ständige Erreichbarkeit
Die Wissenschaftler empfehlen weitere Untersuchungen im
deutschsprachigen Raum, um valide Instrumente zur Messung
von Präsentismus zu erlangen. Dazu gehören Vergleiche der
Instrumente in unterschiedlichen Branchen und mit bereits
getesteten Instrumenten.
Auch die Langzeitfolgen und die Ursachen von Präsentismus
bleiben ein lohnendes Feld für Forscher. Denn um ein wirk
sames und effizientes Interventionspaket für Unternehmen zu
schnüren, das den Präsentismus absenkt, bedarf es weiterer
Einzelfallstudien. Diese sollten im Idealfall interdisziplinär an
gelegt sein. Gesundheitswissenschaftler und Arbeitsmediziner,
Personalökonomen und Psychologen, Arbeitswissenschaftler
und Gesellschaftssoziologen können mit ihren unterschied
lichen Forschungsperspektiven gemeinsam Handlungsfelder
und -empfehlungen für Personalpraktiker erschließen.
Es bleibt also noch viel zu tun - für Wissenschaftler wie
für Führungskräfte. Anregungen gibt auch der „Stressreport
Deutschland 2012“, für den 20.000 Beschäftigte befragt wur
den. 60 % gaben an, sich vor allem durch ständige Erreichbar
keit und Multitasking überlastet zu fühlen. André Große-Jäger,
Referatsleiter im Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
forderte imApril auf derMesse Personal Süd, Personaler sollten
auf die Führungskräfte einwirken, damit diese entlastend wirk
ten. Die Effizienz und Effektivität dieser Maßnahmen wäre eine
ureigene Fragestellung für Personalwissenschaftler.
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