Seite 19 - PERSONALquarterly_2013_03

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ist vereinbar mit der These einer expressiven Funktion des
Rechts: Das AGG trägt bei zur Verbreitung von Normen, die die
Chancengleichheit fördern. Der Rückgang nichtneutraler For-
mulierungen ist dort besonders stark, wo das AGG zum ersten
Mal der Norm gesetzlichen Ausdruck verleiht (beim Kriterium
Alter), und dort, wo die Norm vermutlich wenig bekannt war
(bei den kleineren Unternehmen).
Unsere Studie wirft wichtige Folgefragen auf, die in weiter-
führenden Studien untersucht werden sollten.
Erstens ist fraglich, ob über die Zeit, also von Jahr zu Jahr,
Veränderungen festzustellen sind. Durch neue Gerichtsurteile
könnten Arbeitgeber sensibilisiert werden. Denkbar ist jedoch
auch, dass nach Inkrafttreten des AGG mehr neutrale Stellen-
anzeigen formuliert worden sind, dass jedoch nach Ausbleiben
der Klagewelle wieder mehr nichtneutrale Anzeigen zu finden
waren.
Zweitens sollten noch mehr Stellenanzeigen untersucht wer-
den, sodass feingliedrigere Analysen ermöglicht werden. In
unserer Studie wurden die Unternehmen nur in große und
kleine unterteilt und auch nur zwei grobe Berufskategorien
unterstellt.
Drittens sollte die Rolle von Personalberatungen untersucht
werden.
In unserer Studie gibt es erste Hinweise darauf, dass Perso-
nalberatungen eher häufiger Stellenanzeigen veröffentlichen,
die nichtneutral sind. Wenn sich dies erhärten würde, wäre
dies ein problematischer Befund, weil unter Umständen die
auftraggebenden Arbeitgeber für solche Stellenanzeigen be-
langt werden können.
Immer noch muss beinahe jede vierte Stellenanzeige im
Jahr 2010 als nichtneutral im Sinne des AGG gelten, und die
meisten nichtneutralen Formulierungen beziehen sich auf das
Geschlecht. Das heißt, es werden in beinahe jeder vierten Stel-
lenanzeige entweder nur Frauen oder nur Männer angespro-
chen. Dieser Anteil ist deutlich höher als in der Studie von Kern
(2009), der jedoch eine andere Methodik verwendet.
AGG: Noch kein großer Erfolg
Auch wenn die Diskussionen um das AGG weitgehend ver-
stummt sind, ist es in jedem Fall verfrüht, von einem großen
Erfolg des AGG zu sprechen. Warum sich nichtneutrale Formu-
lierungen gerade im Hinblick auf das Geschlecht weiterhin so
hartnäckig halten, muss in dieser Studie offen bleiben.
Zu vermuten ist, dass die faktische Berufssegregation nach
Geschlecht, also die Tatsache, dass es viele typische Männer-
und viele typische Frauenberufe gibt (Beblo/Heinze/Wolf,
2008), in den Köpfen der Arbeitgeber immer noch stark veran-
kert ist. Daher werden bewusst oder unbewusst für eine Stelle
Beschäftigte eines bestimmten Geschlechtes gesucht oder je-
denfalls mit der Formulierung in der Stellenanzeige angespro-
chen. Das ist problematisch. Denn nichtneutral formulierte
Stellenanzeigen schrecken mit hoher Wahrscheinlichkeit eines
der Geschlechter allein durch die Formulierung in der Anzeige
von einer Bewerbung ab. Damit entgehen den Unternehmen
jedoch Beschäftigte, die womöglich fachlich am besten auf die
ausgeschriebene Stelle passen würden.
Zudem wird damit die Berufssegregation nach Geschlecht
fortgeschrieben. Angesichts des demografischen Wandels kön-
nen es sich Arbeitgeber jedoch künftig immer weniger leisten,
allein durch die Formulierung den Bewerberpool so stark zu
begrenzen.
Nichtneutrale Anzeigen beeinträchtigen das Recruiting
Unsere Studie hat wichtige praktische Implikationen, denn
nichtneutrale Stellenanzeigen können die Personalgewinnung
beeinträchtigen, was sich Arbeitgeber angesichts der demogra-
fischen Entwicklung nicht leisten können.
Nichtneutrale Stellenanzeigen verkleinern den Bewerber-
pool direkt, weil bestimmte Gruppen von einer Bewerbung
abgeschreckt werden. Unseren Ergebnissen zufolge sind dies
entweder Männer oder Frauen, je nach Beruf. Seltener werden
ältere Personen von einer Bewerbung abgeschreckt, doch ganz
verschwunden sind solche Anzeigen dennoch nicht.
Zusätzlich wird die Personalgewinnung indirekt erschwert.
Denn wenn immer mehr Arbeitgeber Stellenanzeigen neutral
formulieren, fallen Arbeitgeber mit nichtneutralen Stellen­
anzeigen stärker auf. Das gilt insbesondere für die kleineren
Abb. 4:
Anteil nichtneutraler Stellenanzeigen
nach Unternehmensgröße
Quelle: Eigene Darstellung
0
2005
< 250 AN
2010
10
20
30
50
60
40
70
>= 250 AN
65
22
28
23
Nichtneutral
(in %)
Jahr