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as Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus
dem Jahr 2006 hat den Diskriminierungsschutz in
Deutschland weiterentwickelt und ergänzt. Bereits
vor dem AGG war eine Benachteiligung aus Gründen
des Geschlechts nach § 611 a, b BGB untersagt. Dies ist mit dem
AGG ausgeweitet worden auf eine Benachteiligung aus Gründen
der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltan-
schauung, wegen Behinderung, Alters und sexueller Identität
(§ 1 AGG). Das generelle Benachteiligungsverbot (§ 7 AGG)
gilt auch für die Ausschreibung eines Arbeitsplatzes etwa in
Stellenanzeigen (§ 11 AGG). Eine Benachteiligung kann hier
vorliegen, wenn eine Stellenanzeige aus sachlich nicht zu recht-
fertigenden Gründen bestimmte Personengruppen von der Aus-
schreibung ausschließt, etwa wenn eine „Friseurin“ oder eine
Arbeitskraft „im Alter von 30 bis 40 Jahren“ gesucht werden.
Die Diskussionen, die das AGG ausgelöst hat, sind abgeebbt.
Befürchtet wurde eine Klagewelle und das AGG-Hopping, also
die „rechtsmissbräuchliche Berufung auf das AGG“ in Klagen
vor dem Arbeitsgericht (Rottleuthner/Mahlmann, 2011: 340).
Beides ist ausgeblieben. Aus den Unternehmen ist überwie-
gend zu hören, dass mit dem AGG keine erheblichen Kosten
auf sie zugekommen sind (Raasch/Rastetter, 2009; Sieben/
Schimmelpfeng, 2011). Dabei bleibt offen, ob die Personalpo-
litik ohnehin mit dem AGG vereinbar war oder sie leicht AGG-
kompatibel gemacht werden konnte – oder ob die Unternehmen
das AGG in großen Teilen ignorieren.
Das empirische Wissen über die Wirkung des AGG ist sehr
begrenzt. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie sich der Anteil der
nichtneutral formulierten Stellenanzeigen entwickelt hat. Es
liegen zwar für den deutschen Sprachraum bislang vier Studien
vor, in denen Stellenanzeigen inhaltsanalytisch ausgewertet
worden sind (siehe Abb. 1). Insgesamt zeigen die Ergebnisse,
dass über die Zeit der Anteil der nichtneutral formulierten Stel-
lenanzeigen abgenommen hat. Nur eine Studie hat Stellenan-
zeigen nach Inkrafttreten des AGG untersucht (Kern, 2009).
Im Ergebnis zeigt sich, dass unter 10 % der Stellenanzei-
gen nichtneutral formuliert worden sind. Allerdings wird in
dieser Studie kein Vergleich gezogen zur Situation vor dem
AGG, sodass kein Schluss auf die Veränderung nach dem – und
durch das – AGG möglich ist. Dies sollte in der Studie, die hier
Stellenanzeigen und AGG: Von Geschlechts-
neutralität noch weit entfernt
Von
Prof. Dr. Martin Schneider
und
Frauke Bauhoff
(Universität Paderborn)
zusammengefasst wird (Bauhoff/Schneider, 2013), nachgeholt
werden. In dieser Studie wurden etwa 330 Stellenanzeigen un-
tersucht, je etwa zur Hälfte im Jahr 2005 und im Jahr 2010.
Das AGG trat 2006 in Kraft. Welche Wirkung das AGG auf die
Nichtneutralität von Stellenanzeigen ausüben sollte, wurde aus
einer Theorie der expressiven Funktion von Recht abgeleitet.
Warum Arbeitgeber das AGG beachten
Es könnte zunächst angenommen werden, dass ein Gebot zu
neutralen Stellenanzeigen grundsätzlich eingehalten wird,
weil es im Gesetz gefordert wird. Von dieser Annahme geht
eine Vielzahl von Autoren aus, die Arbeitgeber mit der neu-
en Rechtslage vertraut machen (vgl. etwa Kamanabrou, 2006)
und Autoren, die sehr weitgehende Änderungen in der Perso-
nalpolitik durch das AGG herausarbeiten (vgl. etwa Oechsler/
Klarmann, 2008). Allerdings ist die Erwartung, dass alle Stel-
lenanzeigen neutral formuliert werden, so plausibel wie die
Annahme, dass alle Bürgerinnen und Bürger eine korrekte
Steuererklärung abgeben.
Einen anderen Blick auf die Wirkung des AGG bietet die in-
terdisziplinäre Rechtstheorie („expressive law“, insbesondere
Cooter, 1998). Die Expressive-Law-Theorie geht von einem rati-
onal agierenden Akteur aus. Arbeitgeber, so die Sicht, werden
Quelle: Eigene Darstellung
Abb. 1:
Studien zur Nichtneutralität von Stellen­
anzeigen im Hinblick auf das Geschlecht
Autoren
Untersuchter Zeitraum Anteil nichtneutraler
Anzeigen
Lechner, 1985
1968, 1973, 1984
90 %
Papst/Slupik, 1984
1979, 1983
80 %
Domsch/Lieberum/
Hünke, 1998
1997
33 %
Kern, 2009
2007, 2008
6 %
Schwerpunkt
_chancengleichheit