Seite 10 - PERSONALquarterly_2013_03

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personalquarterly 03 / 13
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Schwerpunkt
_chancengleichheit
Abstract
Forschungsfrage:
Welcher Teil des großen Verdienstunterschieds zwischen Männern und
Frauen kann auf unterschiedliche produktive Eigenschaften und auf berufliche/sektorale
Segregation zurückgeführt werden? Welche Rolle spielt Lohndiskriminierung?
Methodik:
Resultate einer Querschnittanalyse werden dargestellt.
Praktische Implikationen:
Die tieferen Ursachen von Verdienstunterschieden müssen
angegangen und Anreize zur Lohndiskriminierung von Frauen bekämpft werden. Das
Personalmarketing fällt leichter, wenn der Betrieb nachweislich nicht diskriminiert und die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördert.
Derartige Unterschiede müssen allerdings in Betracht ge-
zogen werden, bevor man aus den durchschnittlichen Ver-
dienstrückständen der Frauen den voreiligen Schluss zieht,
Frauen seien in diesemAusmaß amArbeitsmarkt benachteiligt
oder würden gar diskriminiert. Aus ökonomischer Sicht liegt
Diskriminierung nur dann vor, wenn Arbeitnehmer(innen)
unterschiedlich behandelt bzw. bezahlt werden, obwohl sie
gleiche produktive Eigenschaften aufweisen. Unterschiedliche
produktive Eigenschaften von Männern und Frauen sind ne-
ben Segregation und Lohndiskriminierung drei wesentliche
Erklärungsansätze für die Existenz geschlechtsspezifischer
Verdienstunterschiede, die im Folgenden diskutiert und empi-
risch quantifiziert werden (vgl. auch Hirsch, 2010).
Unterschiedliche produktive Eigenschaften
Nach der neoklassischen Theorie sollten auf Wettbewerbsmärk­
ten die Verdienste der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
weitgehend deren Produktivität entsprechen. Die beobachteten
geschlechtsspezifischen Verdienstunterschiede würden damit
in erster Linie eine geringere Arbeitsproduktivität der Frauen
reflektieren. Gemäß Humankapitaltheorie könnte dies dann
der Fall sein, wenn Frauen über weniger Humankapital verfü-
gen, also einen geringeren Bestand anWissen und Fertigkeiten
aufweisen, die imBildungssystemundwährend der beruflichen
Tätigkeit erworben werden. Zwar gibt es in Deutschland kaum
mehr Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der Schul-
bildung. Allerdings weisen Frauen aufgrund ihrer speziellen
Erwerbsbiografien, die z. B. durch häufigere Erwerbsunter-
brechungen und kürzere Lebensarbeitszeiten gekennzeichnet
sind, im Durchschnitt weniger Berufserfahrung und kürzere
Dauern der Betriebszugehörigkeit auf. Zudem haben sie damit
(wie auch ihre Arbeitgeber) einen geringeren Anreiz, in Aus-
und Weiterbildung zu investieren.
Empirische Studien zeigen üblicherweise, dass zwar ein
Teil der geschlechtsspezifischen Verdienstlücke durch pro-
duktivitätsrelevante Faktoren wie schulische und berufliche
Ausbildung, Berufserfahrung, Betriebszugehörigkeitsdauer
und Erwerbsunterbrechungen erklärt wird. Auch nach deren
Berücksichtigung verbleibt jedoch ein in aller Regel größerer
unerklärter Rest.
2
Dies lässt sich anhand eigener Analysen
mit dem LIAB, dem verbundenen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-
Datensatz des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
für das Jahr 2008 demonstrieren (siehe Abb. 2). InWestdeutsch-
land verdienen vollzeitbeschäftigte Frauen im privaten Sektor
durchschnittlich 22 % weniger als vollzeitbeschäftigte Männer,
in Ostdeutschland beträgt die Verdienstlücke lediglich 14 %.
Berücksichtigt man nun mithilfe geeigneter statistischer Ver-
fahren die Unterschiede in Schulausbildung, (potenzieller) Be-
rufserfahrung und Betriebszugehörigkeitsdauer, so verringert
sich die Verdienstlücke auf 18 % in Westdeutschland, während
sie in Ostdeutschland sogar auf 16 % zunimmt. Letzteres deutet
darauf hin, dass ostdeutsche Frauen verglichen mit Männern
über bessere produktivitätsrelevante Merkmale verfügen, ohne
dass sich dies in ihrer Entlohnung niederschlägt.
Der Teil der beobachteten Verdienstunterschiede, der auf
unterschiedliche produktive Eigenschaften zurückzuführen
ist, kann kaum als ungerechtfertigt angesehen werden – es
sei denn, dass dafür eine vorgeschaltete Diskriminierung (z. B.
im Bildungssystem) verantwortlich ist, die Frauen geringere
Bildungschancen ermöglicht.
Geschlechter verteilen sich unterschiedlich auf Berufe
Selbst wenn Frauen und Männer ähnlich produktiv sind, kön-
nen Verdienstunterschiede dadurch entstehen, dass sich die
Geschlechter in unterschiedlicher Weise auf die Berufe, Wirt-
schaftszweige und hierarchischen Positionen verteilen. Von ei-
ner „horizontalen Segregation“ spricht man, wenn Frauen in
bestimmten Berufen und Branchen über- oder unterrepräsen-
tiert sind. Zu denken ist hier etwa an die sogenannten „Frauenbe-
rufe“: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 1,
Reihe 4.1.2) waren Frauen im Jahr 2011 besonders häufig in Bü-
roberufen, als Verkaufspersonal, in Gesundheitsberufen (ohne
Ärztinnen und Apothekerinnen), in sozialen Berufen, Berufen in
2 Aktuelle Ergebnisse für Deutschland liefern z. B. Gartner/Hinz (2009) und Beblo/Bender/Wolf (2009).
Einen guten Überblick über die internationale Evidenz bietet die Metastudie von Weichselbaumer/
Winter-Ebmer (2005), die Ergebnisse von 263 Studien auf Grundlage von Daten aus 64 Ländern im
Zeitraum 1963–1997 berücksichtigt.