Seite 6 - PERSONALquarterly_2013_01

Basic HTML-Version

personalquarterly 01 / 13
6
Schwerpunkt
_Interview
PERSONALquarterly:
Zurzeit hat man das Gefühl, dass sich vieles
um die Frauenquote in Aufsichtsräten oder in anderen Lei­
tungsfunktionen in Politik und Management dreht. Sie haben
jahrelang im Bereich „Chancengleichheit“ wissenschaftlich
gearbeitet. Wo sehen Sie die Schwerpunkte und die Ergebnisse
des wissenschaftlich Erforschten und des praktisch Erreichten?
Gertraude Krell:
Wir wissen schon sehr viel über die vielfältigen
und verflochtenen Ursachen der Geschlechterungleichheiten
im Management, aber es hat sich relativ wenig verändert. Das
gilt übrigens auch für den zweiten „Dauerbrenner“ Entgeltun-
gleichheit. Bei beiden Themen schneidet Deutschland ja auch
im Vergleich mit anderen Ländern schlecht ab.
Wie die vom BMFSFJ geförderte Studie „Frauen in Führungspo-
sitionen: Barrieren und Brücken“ vonWippermann gezeigt hat,
gibt es hierzulande noch immer männliche Führungskräfte,
die gegen Frauen in (Top-)Führungspositionen sind. Für die
meisten dürfte jedoch gelten, dass sie der Überzeugung sind,
Führungspositionen unabhängig vom Geschlecht zu besetzen.
Aber warum kommen dann von den vielen gut qualifizierten
und aufstiegswilligen weiblichen Führungsnachwuchskräften
so wenige „ganz oben“ an? Die amerikanische Management-
forscherin Kanter hat das schon Ende der 1970er-Jahre als
„homosoziale Reproduktion“ analysiert. Für unser Projekt „Ge-
schlechterungleichheiten im Betrieb“ habe ich detailliert un-
tersucht, welche Mechanismen da amWerke sind und wie auch
die Kriterien, Verfahren und Praktiken der Personalpolitik zur
Unterrepräsentation von Frauen sowie anderen Aspekten von
Geschlechterungleichheiten in Führungspositionen beitragen.
PERSONALquarterly:
Wenn man sich das praktisch Erreichte
anschaut, wird deutlich, dass insbesondere in den Spitzenpo­
sitionen noch Nachholbedarf besteht. Beurteilen Sie das eher
als ein Übergangsproblem, das sich demnächst lösen wird, oder
eher als Barriere, an der man ohne präskriptive Maßnahmen
nicht vorbeikommt?
Krell:
Viele denken, weil sich die Frauenanteile unter den Stu-
dierenden, AbsolventInnen und Führungsnachwuchskräften
erhöhen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch deutlich mehr
Frauen ganz oben ankommen. Das verkennt aber die Proble-
matik der „Gläsernen Decke“. Dass es sich nicht nur um ein
Geschlechterverhältnisse in Führungs-
positionen verstehen und verändern
Das Interview mit
Prof. Dr. Gertraude Krell
führte Prof. Dr. Dieter Wagner (Universität Potsdam)
Übergangsproblem handelt, zeigt sich auch daran, dass die Un-
ternehmen, die Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils
in den Toppositionen ergreifen, damit bisher insgesamt nur
relativ bescheidene Erfolge erzielen konnten. Und diejenigen,
die nach dem Motto „Wir nehmen/befördern die Besten, egal,
ob Frau oder Mann“ verfahren, agieren geschlechtsblind, aber
nicht im Sinne von nicht benachteiligend, sondern blind sowohl
für den derzeit viel diskutierten „unconscious bias“ als auch
blind für Geschlechterverhältnisse als Machtverhältnisse.
Geschlechtsblindheit ist auch Voraussetzung und Effekt der
Nicht-Existenz von nach Geschlecht differenzierten Statistiken:
In einer kürzlich von meinem ehemaligen Innsbrucker Kolle-
gen Stephan Laske und seinem St. Gallener Koautor Gerhard
Graf durchgeführten Studie zu Talentpolitik in Deutschland,
Österreich und der Schweiz antworteten sage und schreibe 4/5
der teilnehmenden Unternehmen auf die Frage nach dem Ver-
hältnis von Frauen und Männern in ihrem Talentpool mit „Das
können wir nicht so genau sagen“.
Der leichte Aufwärtstrend bei den Frauenanteilen in Topfüh-
rungspositionen, denwir seit einiger Zeit bei den Großunterneh-
men beobachten, dürfte übrigens nicht zuletzt eine Reaktion auf
die Androhung einer gesetzlich vorgeschriebenen Quote sein.
PERSONALquarterly:
Insofern stellt sich die Frage: Was halten Sie
von Quotenregelungen?
Krell:
Ich halte Quotenregelungen für ein notwendiges Mittel, um
in Systeme zu intervenieren, die sich nicht von innen heraus
verändern wollen oder können. So argumentierte ja auch Tho-
mas Sattelberger, als die Telekom sich für eine Quote entschied.
In ihrer imPfadkolleg am FachbereichWirtschaftswissenschaft
der Freien Universität Berlin entstandenen Dissertation führt
Philine Erfurt die trotz Gleichstellungsmaßnahmen fortbeste-
hende Homogenität im Topmanagement auf Pfadabhängigkeit
zurück. Pfadabhängigkeit wird erklärt durch sich selbstverstär-
kende Mechanismen – im Falle der Besetzung von Führungspo-
sitionen bspw. dadurch, dass die vorhandenen Führungskräfte
solche Personen auswählen bzw. kooptieren, die „zu uns pas-
sen“; hier möchte ich auch noch einmal an den eingangs er-
wähnten Mechanismus der „homosozialen Reproduktion“
erinnern. Deshalb können Pfade nur durch externe Schocks