Seite 57 - PERSONALquarterly_2013_01

Basic HTML-Version

01 / 13 personalquarterly
57
Allerdings bleiben trotz dieser validen Beschreibung Zweifel
angebracht, ob diese Ergebnisse auch auf Topmanager über­
tragbar sind. Denn sie nehmen sich schlicht „keine Stunde
Zeit, um einen wissenschaftlichen Fragebogen auszufüllen“,
sagt Torsten Biemann, der an der Universität Mannheim die
Vertretung des Lehrstuhls Personalwesen übernommen hat.
„Beobachtungen wie die in den Medien sind ein erstes Indiz,
die wichtig sind, aus denen man aber keine Kurzschlüsse zie­
hen darf.“ Auf derlei Beobachtungen allerdings mag Biemann
nicht verzichten. Nur die Gewichtung und die Interpretation
müssen seriös bleiben.
Auch in einer weiteren US-Studie stand die Managerper­
sönlichkeit am Rande, nicht im Zentrum. Eigentliches Thema
der Langzeitstudie aus der Havard Business School war der
Unternehmenserfolg. Im „Evergreen Project“ beobachteten
Professor Nitin Nohria und Kollegen 220 Erfolgsfaktoren des
Managements bei 160 Unternehmen zehn Jahre lang. Ein Er­
gebnis lautet: Die Person des Vorstandsvorsitzenden hat zwar
sicherlich Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Es lassen sich
aber keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen einzelnen
Persönlichkeitseigenschaften und dem Erfolg herstellen. Zu­
mindest die Fähigkeit zur Vernetzung mit Mitarbeitern über
alle Hierarchiestufen hinweg scheint ein Erfolgsmerkmal zu
sein.
Für Reinhard Sprenger, der mit seinem neuen Buch „Radikal
führen“ gerade einmal mehr Führungskräfte und Wirtschafts­
wissenschaftler je nach persönlicher Haltung provoziert oder
begeistert, ist diese Langzeitstudie überzeugend: „Es ist irrele­
vant, ob der Geschäftsführer bescheiden, visionär, technokra­
tisch, selbstsicher, zurückhaltend, vorbildlich oder authentisch
ist. Das entspricht exakt meiner Erfahrung.“
Nun ist Erfahrung ein eher weiches Kriterium. Und der Un­
terschied zwischen Unternehmenserfolg und Führungserfolg
ist für Mitarbeiter im täglichen Zusammentreffen mit Chefs ein
relevanter. Nur an harten Zahlen lässt er sich nicht festmachen.
Für deutsche Erfolgsfaktoren von Karrieren bietet Sonja Bi­
schoff eine wissenschaftliche Annäherung zumindest an ein
individuelles Kriterium. Die Hamburger Professorin erhebt
seit 1986 Daten zu den Faktoren, die zum Karriereerfolg füh­
ren oder ihn behindern. Sie befragt Manager auf der Mitte der
Karriereleiter danach, worauf sie ihren Erfolg zurückführen.
Neben so etwas Sachorientiertem wie Spezialkenntnissen ist
in den bisher fünf Untersuchungen ein weiteres Kennzeichen
von Befragung zu Befragung wichtiger geworden: Die äußere
Erscheinung.
Waren 1986 nur 5 % der Einsteigerinnen und 7 % der Einstei­
ger der Ansicht, dass das Äußere entscheidet, stiegen die Pro­
zentzahlen schon 1998 auf über 20. Wieder zehn Jahre später
gaben 36 % der Frauen und 29 % der Männer beim Einstieg in
den Beruf der äußeren Erscheinung das Label erfolgsrelevant.
Und die erfolgreichen mittleren Manager beiderlei Geschlechts
geben dem Nachwuchs recht: Rund 30 % sehen im Äußeren
einen Erfolgsfaktor. „Dieses Kriterium hat Karriere gemacht“,
betont Bischoff. „Es hat sich im Zeitlauf enorm nach oben
geschoben.“ Jetzt steht es gleichauf mit persönlichen Bezie­
hungen. Mag sein, dass deshalb auch der telegene Top­manager
weniger Leibesfülle und mehr Sportlichkeit mitbringt. Mag
aber auch sein, dass das TV ein verzerrtes Bild vom drah­
tig-dynamischen Manager malt. Denn eine Studie über alle
­deutschen Unternehmen inklusive der mittelständischen und
die Gewichts- und Sportklassen ihrer Chefs steht noch aus.
Ob das äußere Erscheinungsbild bei Einsteigern und im
Mittelmanagement weiterhin obenauf ist, wird Professorin
Bischoff im nächsten Jahr untersuchen. Denn dann wird die
Studie zur Qualität der Führungskräfte „Wer führt (in) die Zu­
kunft?“ in die nächste Runde gehen. Unterstützt wird die eme­
ritierte Hochschullehrerin von der Dr. Jürgen Meyer Stiftung in
Köln, die als Stiftungszweck „Ethik im Geschäftsleben“ nennt.
Topmanager allerdings bleiben wie immer außen vor – und so
kann über sie weiterhin herrlich spekuliert werden.
Prof. Karsten Müller (Universität Osnabrück), Prof. Sonja Bischoff (Universität Hamburg), Dr. Reinhard K. Sprenger (Winterthur)
© Campus Verlag / Foto: Sabine Felber, Literaturtest