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_Die Wahrheit hinter der Schlagzeile
D
as Handelsblatt schreibt am 15.10.2012, Anshu Jain
sei bei der Jahrestagung des Institute of Internatio
nal Finance (IIF) „betont leise“ aufgetreten. Schon
am 12.9.2012 titelt das Wirtschaftsblatt zum Deut
sche-Bank-Spitzenduo Anshu Jain/Jürgen Fitschen: „Die neue
Bescheidenheit.“ Und die Zeit lässt sich am 9.7.2012 unter der
Überschrift „Die Super-Männchen“ sehr ausführlich über den
Generationswechsel und das Auftreten der Spitzenmanager
in der Ära nach Josef Ackermann aus. Ein leises Bedauern
schwingt durchaus mit, wenn das Zeit-Autorentrio Kerstin
Bund, Uwe Jean Heuser und Claas Tatje das Ende der Alpha
tiere beschreibt: Lufthansa-Chef Christoph Franz, der im Wa
gen seines Vorgängers fährt, Henkels CEO Kasper Rorsted, der
seinen Gästen den Kaffee selbst serviert, Frank Appel, der zum
Amtsantritt sein Chefzimmer bei der Deutschen Post verklei
nern ließ. Die Zeit kommt zu dem Schluss: „Die neuen CEO sind
Anti-Alphas. Sie sind Beta-Buben.“
In sich schlüssig sind all diese Artikel. Wer sich umschaut,
sieht gleich, dass sich die Statussymbole verändert haben:
Fahrrad statt Daimler, wobei Nobelzweiräder imPreis eine nach
oben offene Euroskala haben. Teuer ja, protzig nein, so lautet
die PR-Strategie der Unternehmen für ihre Manager. Charisma,
zumindest gekoppelt mit offen-autoritärem Durchregieren, ist
gerade nicht en vogue, die Entscheidung der Chefs gilt den
noch. Der Bodenständige, Pünktliche und Gewissenhafte, der
Manager zum Anfassen, der mit der offenen Tür und dem re
gelmäßigen Frühstück für Mitarbeiter, der Spitzenmann, der
gesund isst und Sport treibt, sogar für die Familie sonntags die
Brötchen holt. Es gibt ihn. Aber sind es nicht lediglich andere
Machtinsignien, die da präsentiert werden? Das I-Pad in der Lu
xusversion, das von Mitarbeitern synchronisierte Smartphone,
das Büro in der Edelaktentasche. Schnell austauschbare Ge
rätschaften, die die Arbeitsorganisation globalisieren – und
Mitarbeiterkontrolle von überall her ermöglichen. Im Ernstfall
müssen auch diese Chefs nicht diskutieren, wenn sie etwas
wollen. Und am Gehalt wird auch nicht gespart.
Der Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität
Osnabrück, Professor Karsten Müller, warnt denn auch vor
Kurzschlüssen: „Bei diesem Thema muss man den Unterschied
beachten zwischen anekdotischem Wissen, Plausibilität und
Der CEO von heute ist ein „Anti-Alpha“
Der neue Manager ist da: Sportlich, gesund, hübsch anzuschauen, aber auch etwas lang
weilig und optisch austauschbar. Allerdings: Die Wissenschaft hat ihn noch nicht erforscht.
Ruth Lemmer,
Freie Wirtschaftsjournalistin, Düsseldorf
systematischer empirischer Forschung.“ In den Westfälischen
Nachrichten vom 29.8.2012 relativiert er die „great man theo
ry“, die Führungstheorie also, die besagt, dass Größe, Gewicht
oder Aussehen eine Auswirkung auf beruflichen Erfolg haben.
Der Zusammenhang, so Müller, sei eher gering. Auch andere
Beobachtungen zur Persönlichkeit würden leicht überschätzt.
Insgesamt, so Müller, spielten „die Eigenschaften der Person
zwar eine Rolle, könnten jedoch den Erfolg nicht alleine er
klären“.
Ob die Anführer heute anders auftreten, weil das der Zeit
geist mit seinen modischen Werten erfordert, und ob das eine
Rolle für den persönlichen wie für den Unternehmenserfolg
spielen würde, ist einfach nicht zu beantworten – jedenfalls
nicht nach strengen personalwissenschaftlichen Maßstäben.
Ohnehin ist es wohl eher eine Forschungsaufgabe für Sozi
alwissenschaftler als für Ökonomen zu hinterfragen, welche
gesellschaftlichen Werte Alphatiere verkörpern. Die Vermu
tung sei erlaubt, dass es immer die Werte sind, die gerade in
sind: Teamarbeit statt autoritärer Führung, Frauenförderung
statt offener Männerbevorzugung. Allein, es bleibt eine Be
hauptung – jedenfalls vorläufig. Eine solche Forschung ist in
Deutschland seriös kaum nachzuholen, denn selbst wenn es
gelänge, heutige Topmanager zum Mitmachen zu gewinnen,
weil Transparenz und Offenheit jedenfalls verbal in Mode sind:
Für die Kohortenvergleiche fehlen stabile Daten von vor zehn
oder 20 Jahren. Und dieser Vergleich wäre unerlässlich.
Auch in den USA machen sich die Spitzenmanager rar bei
Untersuchungen zu ihrer Persönlichkeit. Und selbst belast
bare Forschungsergebnisse für Führungskräfte unterhalb des
Topmanagements berücksichtigen nicht die aktuellsten Ent
wicklungen. Immerhin können diese Studien aber Auskunft
darüber geben, welche Eigenschaften in der Vergangenheit
mit Erfolg verknüpft waren. Führten Selbstverliebtheit, Un
nahbarkeit und ähnliche Allüren in der Vergangenheit tatsäch
lich zum Erfolg? C. Shawn Burke hat mit Kollegen im Jahre
2006 die Ergebnisse seit 1900 analysiert. Es zeigt sich, dass
Verhaltensweisen – die unter transformationaler Führung zu
sammengefasst werden – wie individuelle Wertschätzung und
intellektuelle Stimulierung einen positiven Einfluss auf den
Erfolg besitzen.