Seite 40 - PERSONALquarterly_2013_01

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Neue Forschung
_Gesundheitskultur
D
erzeitige wirtschaftliche Rahmenbedingungen kon-
frontieren Unternehmen mit großen Herausforde-
rungen. Dazu gehören erhöhte Anforderungen an
Produktivität, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit,
welche wiederum wesentlich durch die ­Wettbewerbsintensität
in sich globalisierenden Märkten bedingt sind. Überdies sehen
sich Betriebe den Auswirkungen des fortschreitenden demo-
grafischen Wandels ausgesetzt und müssen mit einer perma-
nenten Weiterentwicklung moderner Technologien Schritt
halten. Derart verschärfte Wettbewerbsbedingungen erfordern
eine überlegene finanzielle, technisch-wissenschaftliche, in-
frastrukturelle sowie vor allem personelle Ressourcenbasis.
Die Reaktion auf die dargelegten Herausforderungen wird im
Wirtschaftsraum Nord- und Westeuropa durch hohe Personal-
kosten erschwert. Unternehmensstandorte in Hochlohnlän-
dern sind betriebsökonomisch nur überlebensfähig, wenn die
dort erzielte Arbeitsleistung pro Zeiteinheit die Konkurrenz in
Niedriglohnländern bei Weitem übertrifft.
Die vorgenannten Entwicklungen erklären, warum viele
Betriebe hohe Erwartungen an ihre Angestellten hegen. ­Dies
führt nicht selten zu einer Überbeanspruchung menschlicher
Leistungsträger. Empirische Befunde belegen, dass der Ar-
beitsplatz diverse Belastungsquellen bereithält, welche die
Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten beein-
trächtigen (u. a. Bartholdt/Schütz, 2010, S. 63). Auffallend ist,
dass Arbeitsstress oftmals unmittelbar durch die Personal-
führung entsteht oder zumindest durch diese beeinflussbar
ist. Während mechanische und chemische Belastungen in der
Vergangenheit nennenswert gesunken sind, ist das Ausmaß
an psychischen bzw. psychosozialen Störgrößen deutlich ge-
stiegen (Bödeker/Klindworth/BKK Bundesverband, 2007, S. 4).
Der viel zitierte Anstieg an Burnout-Fällen ist spiegelbildlich
für diese Entwicklung zu sehen. Die Kosten, die Unternehmen
durch Absentismus und Präsentismus entstehen, sind gravie-
rend. Der daraus resultierende Handlungsbedarf zur Siche-
rung der Wettbewerbsfähigkeit ist offensichtlich.
Gesundheitsmanagement im betrieblichen Kontext
Um die Gesundheit des Personals zu erhalten und nachhal-
tig zu fördern, investieren immer mehr Unternehmen in ein
Wie sich in einem Unternehmen
eine Gesundheitskultur verankern lässt
Von
Dr. Anna Osterspey
(Deloitte Consulting)
und
Prof. em. Dr. Norbert Thom
(Universität Bern)
betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Durch ein
planvolles Vorgehen sollen zum einen gesundheitsgerechte
Rahmenbedingungen geschaffen werden. Zum anderen be-
steht das Ziel darin, möglichst alle Unternehmensmitglieder
im beruflichen und privaten Umfeld zu gesundheits- und si-
cherheitsbewusstem Verhalten zu befähigen.
Im BGM verschmelzen zwei historisch getrennte Ent-
wicklungslinien. Hierbei handelt es sich um rechtliche Be-
stimmungen im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz
einerseits, sowie um freiwillige Initiativen der maßgeblich
von der WHO forcierten betrieblichen Gesundheitsförderung
(BGF) andererseits (Bödeker/Kramer/Sockoll, 2009, S. 341).
Letztere umfasst zudem das betriebliche Case Management.
Im Rahmen eines systematischen Prozesses werden individu-
ell abgestimmte Leistungen angeboten, um vor allem Langzeit-
kranke schnellstmöglich und langanhaltend am Arbeitsplatz
zu reintegrieren.
Die Autoren gehen von der Grundthese aus, dass ein BGM
mit vereinzelten Aktionen, Kampagnen und Kursen (z. B. zu
Themen wie Stressmanagement, Ernährung und Bewegung)
sowie mit isolierten Fachverantwortlichen nicht nachhaltig
erfolgreich sein kann. Sie plädieren daher für eine kulturelle
Verfestigung gesundheitsfördernder Konzepte
1
.
Dimensionen der Gesundheitskultur
Die Unternehmenskultur ist im Sinne einer Wertebasis eine
Umhüllungsgröße, welche den Einsatz aller nachgeordneten
Führungsinstrumente steuert. Analog stellt die Gesundheits-
kultur, als Teil der Unternehmenskultur, den normativen An-
satzpunkt für die Steuerung aller gesundheitserhaltenden und
-fördernden Initiativen dar.
Basierend auf den Darstellungen eines umfassenden Ge-
sundheitsmanagements, ist das Konstrukt Gesundheitskultur
(siehe Abb. 1) eine gedankliche Weiterentwicklung. Es folgt
der Logik des Modells der European Foundation for Quality
Management. Demnach werden menschbezogene (z. B. posi-
tives subjektives Gesundheitsempfinden) und unternehmens-
1 Die Ausführungen dieses Artikels basieren auf Osterspey (2012), einem vom Zweitautor Norbert
Thom betreuten Forschungsprojekt am Institut für Organisation und Personal der Universität Bern.
Die genannte Publikation enthält ein umfassendes Quellenverzeichnis.