Seite 57 - PERSONALquarterly_2012_04

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tät Konstanz Professor Leo Kaas und sein wissenschaftlicher
Assistent Chris­tian Manger geliefert. Die Forscher, die ihr
Arbeitspapier 2010 beim IZA veröffentlichten, wollten mes-
sen, ob Stellenbewerber mit ausländischen Wurzeln auf dem
deutschen Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Sie verschick-
ten – als Ergebnis eines Lehrprojekts – in einem Feldversuch
über 1.000 Bewerbungen, bezogen auf Praktikumsstellen für
Wirtschaftsstudenten. Den inhaltlich gleichwertigen Bewer-
bungsunterlagen leistungsstarker Studierender – deutsche
Staatsbürger, Muttersprachler – wurden nach dem Zufallsprin-
zip typisch deutsche und typisch türkische Namen zugeordnet:
Tobias Hartmann und Dennis Langer standen in Konkurrenz
zu Fatih Yildiz und Serkan Sezer.
Das prägnante Ergebnis: Bewerber mit türkischem Namen
erhielten insgesamt 14 % weniger positive Antworten. In klei-
neren Unternehmen waren es sogar 24 %. Auch hier machte
sich bereits bemerkbar, dass Standardisierungen in Großunter-
nehmen weniger Raum für subjektive Einschätzungen lassen.
Gleiche Chancen hatten die Bewerber Sezer und Yildiz ledig-
lich, wenn Empfehlungsschreiben eindeutig deutscher Arbeit-
geber aus früheren Praktika angehängt waren. Das Ergebnis
ist umso bemerkenswerter, weil die Untersuchung im Sektor
Hochqualifizierter angesiedelt wurde.
Professor Kaas sieht in einer Studie mit schriftlichen Be-
werbungen „einen sauberen Versuchsaufbau“. Nach diesem
Forschungsdesign hatten bereits Marianne Bertrand und
Sendhil Mullainathan an der Graduate School of Business der
Universität Chicago die Diskriminierung von Afroamerika-
nern untersucht. Laut ihrer 2002 veröffentlichten Arbeit über
Emily und Brendan sowie Lakisha und Jamal erhielten Bewer-
ber mit typisch weißen Namen 50 % mehr Rückantworten.
Skeptischer wird Kaas, wenn, wie in einem älteren Versuch
in den USA, schwarze und weiße Schauspieler in einem Audit
als Bewerber auftreten. „Die Leute wissen, dass sie in einem
Versuch mitspielen und sie treten unterschiedlich auf.“ Von
einem anderen Forschungsdesign verspricht er sich eher Er-
kenntnisse über die Ursachen und Schritte der Diskriminie-
rung von Menschen mit Migrationshintergrund. „Interessant
wäre ein Laborversuch, in dem die Entscheider am PC syste-
matisch variierte Informationen über die Bewerber erhalten“,
meint Leo Kaas. „Wenn man mit mobilen Labors in die Firmen
ginge, könnte man in großer Zahl erheben, wie Personalabtei-
lungen zu ihren Entscheidungen kommen.“
Es soll weitergeforscht werden
Doch für dieses Modell gibt es bisher keine konkreten Pläne.
Vielmehr stehen bei der Anonymisierung von Bewerbungsun-
terlagen in Deutschland weiterhin Handlungsempfehlungen
für Unternehmen und Institutionen im Vordergrund. Prakti-
kabilität geht vor wissenschaftlichen Purismen. Davon, dass
diskriminiert wird, kann bis zum Beweis des Gegenteils ausge-
gangen werden. Das standardisierte Online-Formular aus der
Bundesstudie, das von vorneherein auf Name, Alter und Foto
verzichtet, soll weiterentwickelt und seine Wirkung untersucht
werden. Denn da dieses Formular als praktikabler gilt als alle
nachträglichen Eingriffe in Bewerberdaten, könnte es für Un-
ternehmen und Institutionen, die keine großen Personalabtei-
lungen beschäftigen, eine spannende Lösung sein.
Ob das für kleine und mittelständische Unternehmen tat-
sächlich ein Weg zu mehr Vielfalt ist, wollen die Länder Ba-
den-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit eigenen Projekten
prüfen. Sie lehnen sich an die Kowa-Ergebnisse an. Beide Bun-
desländer werden noch in diesem Herbst mit Modellversuchen
auf Länderebene starten und die Ergebnisse wissenschaftlich
evaluieren lassen. Ihr Ziel: Einen einfachen, effizienten und
kostengünstigen Weg zur Implementierung des anonymisier-
ten Verfahrens zu finden, um in der ersten Runde von Bewer-
bungen für Mitglieder potenziell diskriminierter Gruppen eine
höhere Einladungswahrscheinlichkeit zu erlangen.
Gefragt wird nicht danach, ob diskriminiert wird, sondern
nach einer Lösung zur Senkung der Anzahl diskriminierender
Entscheidungen.
V. l. n. r.: Ines Böschen (Kowa), Prof. Leo Kaas (Universität Konstanz), Annabelle Krause (IZA)