personalquarterly 04 / 12
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State of the art
_Fluktuation und Retention
betriebliche Retention-Management abzuleiten, ergeben sich
nicht nur aus der schieren Anzahl der zu berücksichtigenden
Faktoren, sondern auch daher, dass die herausgestellten De-
terminanten teilweise multidimensionale und multifaktoriell
verursachte Konstrukte darstellen (wie z. B. Arbeitszufrie-
denheit oder organisationales Commitment). Zudem sind die
empirischen Untersuchungsergebnisse uneindeutig hinsicht-
lich der Relevanz und Einflussstärke der Faktoren. Findet man
beispielsweise einerseits empirische Bestätigung dafür, dass
Arbeitsunzufriedenheit einen starken Einfluss auf den Ablö-
sungsprozess des Mitarbeiters hat (Porter/Steers, 1973, S. 154;
Hom/Kinicki, 2001, S. 984; Kammeyer-Mueller u. a., 2005, S.
646), zeigt sich in anderen Studien lediglich ein moderater
Einfluss (Griffeth/Hom/Gaertner, 2000, S. 479). Und schließ-
lich gibt es auch Interpretationen empirischer Daten, wonach
Arbeitsunzufriedenheit nur geringe Bedeutung beizumessen
ist (Holtom/Mitchell/Lee/Eberly, 2008, S. 256). Demnach ist
es ein populäres Missverständnis anzunehmen, Mitarbeiter
kündigten primär aufgrund von Arbeitsunzufriedenheit (Al-
len/Bryant/Vardaman, 2010, S. 49). Ein ähnliches Bild ergibt
sich für den Einfluss der Arbeitsmarktsituation auf die Fluktu-
ationsentscheidung: Die empirisch ermittelte Stärke des Ein-
flusses reicht von nicht existent (Holtom/Mitchell/Lee/Eberly,
2008, S. 234), über schwach (Griffeth/Hom/Gaertner, 2000, S.
480) bis hoch (Hom/Kinicki, 2001, S. 984; Kammeyer-Mueller
u. a., 2005, S. 645). Nicht anders stellen sich die Ergebnisse
empirischer Untersuchungen zum Einfluss der Persönlichkeit
und soziodemografischer Merkmale dar: Kommen Untersu-
chungen einerseits zum Ergebnis, dass kein Zusammenhang
zwischen Geschlechts- und ethnischer Zugehörigkeit einer-
seits und Fluktuation andererseits besteht (Griffeth/Hom/
Gaertner, 2000, S. 479), ist für andere der Zusammenhang evi-
dent: „Women quit more than men, while African Americans,
Hispanic Americans, and Asisan Americans quit more than
White Americans” (Hom/Roberson/Ellis, 2008, S. 1). Und auch
hinsichtlich der Relevanz von Persönlichkeitsfaktoren sind
die Untersuchungsergebnisse nicht weniger widersprüchlich
(Griffeth/Hom/Gaertner, 2000, S. 479; Barrick/Zimmerman,
2005, S. 163; Zimmerman, 2008, S. 309).
Einigkeit besteht hingegen darüber, dass eine bestehende
Kündigungsabsicht seitens der Mitarbeiter den besten Prädiktor
für zukünftiges Kündigungsverhalten abgibt (Griffeth/Hom/Ga-
ertner, 2000, S. 480). Doch woraus resultierten die Kündigungs-
absichten und wie kann das betriebliche Personalmanagement
diese frühzeitig identifizieren, um rechtzeitig entgegensteuern
zu können? Für das betriebliche Retention-Management ergibt
sich aus den empirischen Forschungsergebnissen die Notwen-
digkeit der unternehmensspezifischen Ermittlung der maß-
geblichen Fluktuationsursachen. Durch die Auswertung von
Austrittsgesprächen („exit interviews“) und turnusmäßig durch-
geführter, standardisierter Befragungen vonMitarbeitern, die in
der vergangenen Periode gekündigt haben („postexit surveys“)
kann retrospektiv eine Ermittlung der wesentlichen Fluktuati-
onsursachen vorgenommen werden. Regelmäßig durchgeführte
Quelle: in Anlehnung an: Porter/Steers, 1973; Griffeth/Hom/Gaertner, 2000; Hom/Kinicki, 2001; Maertz/Campion, 2004; Kammeyer-Mueller u.a., 2005; Barrick/Zimmerman, 2005; Maertz/Griffeth/Campbell/
Allen, 2007; Zimmerman, 2008; Holtom/Mitchell/Lee/Eberly, 2008; Hom/Roberson/Ellis, 2008; Steel/Lounsbury, 2009; Allen/Bryant/Vardaman, 2010.
Abb. 1:
Empirisch untersuchte Fluktuationsursachen
mitarbeiterbezogene
Faktoren
Alter, Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, Familienstand, Anzahl der Kinder, Unterhaltspflichten, Geschlecht, Ausbildungsstand,
Höhe der mit einer Kündigung verbundenen Kosten, Gesundheitszustand, Schwangerschaft, sozialer Druck durch soziales Umfeld,
berufliche Situation des Ehepartners, Wunsch nach beruflicher Veränderung, Absicht einer beruflichen Höherqualifizierung, Wunsch
nach einer Lebensveränderung, Wunsch nach Familiengründung, Intelligenz, potenzielles Leistungsvermögen, tatsächliches Leis
tungsniveau, ethnische Zugehörigkeit, Kündigungsabsicht, Werthaltungen, moralische Grundhaltung, Arbeitsethos, Pflichtbewusst-
sein, emotionale Stabilität, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit
arbeitsplatzbezogene
Faktoren
unternehmensbezogene
Faktoren
arbeitsmarktbezogene
Faktoren
Arbeitszufriedenheit, Rollenklarheit, Rollenkonflikte, Autonomie, Einbeziehung in Entscheidungen, Aufgabenvielfalt, Stress, emotio-
nale Beanspruchung, wahrgenommene Gefahr einer Degradierung, Einbindung in organisationsinterne Netzwerke, Hierarchielevel
der Stelle, Entgelthöhe, Entgeltzufriedenheit, Abteilungsgröße, Beziehungsqualität zum Vorgesetzten, Beziehungsqualität zu Kol-
legen, Gruppenkohäsion, Teamheterogenität, wahrgenommene Unterstützung durch Vorgesetzten, Mentoring, wahrgenommene
Arbeitsplatzsicherheit
Unternehmensgröße, Branchenzugehörigkeit, Karriereperspektive, organisationsinterne Stellenalternativen, organisationsinterne
Gerechtigkeit, organisationales Commitment, Unternehmenskultur, Entgeltspreizung, organisatorischer Wandel, Unternehmensi-
mage, organisationsinterner Diversitätsgrad, wahrgenommeneorganisatorische Unterstützung, unternehmensbezogene Schocks
(z. B. Insolvenz), Anzahl der Freunde und Verwandte in der Organisation, Häufigkeit der Empfehlung der Organisation als Arbeitge-
ber durch Freunde und Bekannte
Arbeitslosenquote, wahrgenommene Job-Alternativen, erwarteter Nutzen einer Stellensuche