Seite 48 - PERSONALquarterly_2012_04

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State of the art
_Fluktuation und Retention
betriebliche Retention-Management abzuleiten, ergeben sich
nicht nur aus der schieren Anzahl der zu berücksichtigenden
Faktoren, sondern auch daher, dass die herausgestellten De-
terminanten teilweise multidimensionale und multifaktoriell
verursachte Konstrukte darstellen (wie z. B. Arbeitszufrie-
denheit oder organisationales Commitment). Zudem sind die
empirischen Untersuchungsergebnisse uneindeutig hinsicht-
lich der Relevanz und Einflussstärke der Faktoren. Findet man
beispielsweise einerseits empirische Bestätigung dafür, dass
Arbeitsunzufriedenheit einen starken Einfluss auf den Ablö-
sungsprozess des Mitarbeiters hat (Porter/Steers, 1973, S. 154;
Hom/Kinicki, 2001, S. 984; Kammeyer-Mueller u. a., 2005, S.
646), zeigt sich in anderen Studien lediglich ein moderater
Einfluss (Griffeth/Hom/Gaertner, 2000, S. 479). Und schließ-
lich gibt es auch Interpretationen empirischer Daten, wonach
Arbeitsunzufriedenheit nur geringe Bedeutung beizumessen
ist (Holtom/Mitchell/Lee/Eberly, 2008, S. 256). Demnach ist
es ein populäres Missverständnis anzunehmen, Mitarbeiter
kündigten primär aufgrund von Arbeitsunzufriedenheit (Al-
len/Bryant/Vardaman, 2010, S. 49). Ein ähnliches Bild ergibt
sich für den Einfluss der Arbeitsmarktsituation auf die Fluktu-
ationsentscheidung: Die empirisch ermittelte Stärke des Ein-
flusses reicht von nicht existent (Holtom/Mitchell/Lee/Eberly,
2008, S. 234), über schwach (Griffeth/Hom/Gaertner, 2000, S.
480) bis hoch (Hom/Kinicki, 2001, S. 984; Kammeyer-Mueller
u. a., 2005, S. 645). Nicht anders stellen sich die Ergebnisse
empirischer Untersuchungen zum Einfluss der Persönlichkeit
und soziodemografischer Merkmale dar: Kommen Untersu-
chungen einerseits zum Ergebnis, dass kein Zusammenhang
zwischen Geschlechts- und ethnischer Zugehörigkeit einer-
seits und Fluktuation andererseits besteht (Griffeth/Hom/
Gaertner, 2000, S. 479), ist für andere der Zusammenhang evi-
dent: „Women quit more than men, while African Americans,
Hispanic Americans, and Asisan Americans quit more than
White Americans” (Hom/Roberson/Ellis, 2008, S. 1). Und auch
hinsichtlich der Relevanz von Persönlichkeitsfaktoren sind
die Untersuchungsergebnisse nicht weniger widersprüchlich
(Griffeth/Hom/Gaertner, 2000, S. 479; Barrick/Zimmerman,
2005, S. 163; Zimmerman, 2008, S. 309).
Einigkeit besteht hingegen darüber, dass eine bestehende
Kündigungsabsicht seitens der Mitarbeiter den besten Prädiktor
für zukünftiges Kündigungsverhalten abgibt (Griffeth/Hom/Ga-
ertner, 2000, S. 480). Doch woraus resultierten die Kündigungs-
absichten und wie kann das betriebliche Personalmanagement
diese frühzeitig identifizieren, um rechtzeitig entgegensteuern
zu können? Für das betriebliche Retention-Management ergibt
sich aus den empirischen Forschungsergebnissen die Notwen-
digkeit der unternehmensspezifischen Ermittlung der maß-
geblichen Fluktuationsursachen. Durch die Auswertung von
Austrittsgesprächen („exit interviews“) und turnusmäßig durch-
geführter, standardisierter Befragungen vonMitarbeitern, die in
der vergangenen Periode gekündigt haben („postexit surveys“)
kann retrospektiv eine Ermittlung der wesentlichen Fluktuati-
onsursachen vorgenommen werden. Regelmäßig durchgeführte
Quelle: in Anlehnung an: Porter/Steers, 1973; Griffeth/Hom/Gaertner, 2000; Hom/Kinicki, 2001; Maertz/Campion, 2004; Kammeyer-Mueller u.a., 2005; Barrick/Zimmerman, 2005; Maertz/Griffeth/Campbell/
Allen, 2007; Zimmerman, 2008; Holtom/Mitchell/Lee/Eberly, 2008; Hom/Roberson/Ellis, 2008; Steel/Lounsbury, 2009; Allen/Bryant/Vardaman, 2010.
Abb. 1:
Empirisch untersuchte Fluktuationsursachen
mitarbeiterbezogene
Faktoren
Alter, Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, Familienstand, Anzahl der Kinder, Unterhaltspflichten, Geschlecht, Ausbildungs­stand,
Höhe der mit einer Kündigung verbundenen Kosten, Gesundheitszustand, Schwangerschaft, sozialer Druck durch so­zia­les Umfeld,
berufliche Situation des Ehepartners, Wunsch nach beruflicher Veränderung, Absicht einer beruflichen Höher­qualifizierung, Wunsch
nach einer Lebensveränderung, Wunsch nach Familiengründung, Intelligenz, potenzielles Leis­tungsvermögen, tatsächliches Leis­
tungsniveau, ethnische Zugehörigkeit, Kündigungsabsicht, Werthaltungen, moralische Grundhaltung, Arbeitsethos, Pflichtbewusst-
sein, emotionale Stabilität, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit
arbeitsplatzbezogene
Faktoren
unternehmensbezogene
Faktoren
arbeitsmarktbezogene
Faktoren
Arbeitszufriedenheit, Rollenklarheit, Rollenkonflikte, Autonomie, Einbeziehung in Entscheidungen, Aufgabenvielfalt, Stress, emotio-
nale Beanspruchung, wahrgenommene Gefahr einer Degradierung, Einbindung in organisationsinterne Netzwerke, Hierarchielevel
der Stelle, Entgelthöhe, Entgeltzufriedenheit, Abteilungsgröße, Beziehungsqualität zum Vorgesetzten, Beziehungsqualität zu Kol-
legen, Gruppenkohäsion, Teamheterogenität, wahrgenommene Unterstützung durch Vorgesetzten, Mentoring, wahrgenommene
Arbeitsplatzsicherheit
Unternehmensgröße, Branchenzugehörigkeit, Karriereperspektive, organisationsinterne Stellenalternativen, organisationsinterne
Gerechtigkeit, organisationales Commitment, Unternehmenskultur, Entgeltspreizung, organisatorischer Wandel, Unternehmensi-
mage, organisationsinterner Diversitätsgrad, wahrgenommeneorganisatorische Unterstützung, unternehmensbezogene Schocks
(z. B. Insolvenz), Anzahl der Freunde und Verwandte in der Organisation, Häufigkeit der Empfehlung der Organisation als Arbeitge-
ber durch Freunde und Bekannte
Arbeitslosenquote, wahrgenommene Job-Alternativen, erwarteter Nutzen einer Stellensuche