Seite 22 - PERSONALquarterly_2012_04

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personalquarterly 04 / 12
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Schwerpunkt
_evidence-based management
D
as erfolgreiche Management von Teamprozessen
ist eine der größten Herausforderungen für Unter-
nehmen und Führungskräfte. Viele Aufgaben in der
heutigen Arbeitswelt können nur bewältigt werden,
wenn Experten aus unterschiedlichen Bereichen produktiv in
Teams zusammenarbeiten. Insbesondere ist dies der Fall, wenn
es darum geht, kreative Lösungen für neue Produktentwick-
lungen zu generieren. Erfolgreiche Führung und Steuerung
von Teamprozessen ist deshalb häufig ein entscheidender Wett-
bewerbsfaktor für Unternehmen.
Die technische Entwicklungsabteilung eines großen deut-
schen Automobilkonzerns war sich dieser Herausforderung
bewusst und plante deshalb eine systematische, evidenzba-
sierte Analyse der Teamprozesse in ihren zahlreichen Pro-
jektentwicklungsteams. Im Gegensatz zu vorangegangenen
Teamentwicklungsprozessen sollten diesmal nicht standar-
disierte Personalmangement-Tools, wie Führungskräfteschu-
lungen und/oder Teamentwicklungstrainings einheitlich für
alle Teams durchgeführt, sondern der individuelle Handlungs-
bedarf in jeden Team ermittelt werden. Zu diesemZweck wurde
eine Kooperation mit dem Institut für Führung und Personal-
management (I.FPM) der Universität St. Gallen vereinbart, das
die wissenschaftliche Betreuung der evidenzbasierten Analyse
der Teamprozesse übernahm.
Zur Analyse von Teamprozessen und deren Leistungskonse-
quenzen ist es von zentraler Bedeutung, die psychologischen
Prozesse und Zustände, die in Teams stattfinden, wie z. B. die
Qualität der Interaktion zwischen den Teammitgliedern, Vorur­
teile zwischen Vorgesetzten und Teammitgliedern, messbar zu
machen. Dies kann am effizientesten und zuverlässigsten durch
eine wissenschaftliche fundierte Befragung der Teammitglieder
erfolgen. Die Planung, Durchführung und Auswertung dieser
Mit­arbeiterbefragung waren deshalb auch die drei Kernbe-
standteile des evidenzbasierten Vorgehens. In den folgenden
Abschnittenwerdenwir diese drei Schritte imDetail beleuchten.
Entwicklung eines evidenzbasierten Vorgehens
Zunächst wurden in einem Vorgespräch mit dem Topmanage-
ment die spezifischen Herausforderungen in den Teams erfasst.
Daraufhin wurden aufgrund einer Literaturrecherche relevante
wissenschaftliche Befragungskonstrukte ausgewählt, um die
Qualität der Interaktionen in den Teams und die Leistung der
Teams adäquat zu erfassen. Als Nächstes wurden diese Befra-
gungskonstrukte mittels einer Online-Befragung bei den Vor-
gesetzten und Teammitgliedern erhoben.
Grundsätzlich wurden diese Befragungskonstrukte unter
dem Gesichtspunkt ausgewählt, dass sie sich in der bisherigen
Forschung als wirksam im Sinne der Leistungsfähigkeit von
Teams herausgestellt haben und dass sie sich im Rahmen eines
strategischen Personalmanagements beeinflussen lassen. Ein
besonderer Schwerpunkt der Erhebung lag auf der Erfassung
des Führungsverhaltens der Vorgesetzten, wobei besonders die
sogenannte transformationale Führung, ein eher emotional-­
inspirierender Führungsstil, und die transaktionale Führung,
ein eher rational-instrumenteller Führungsstil, betrachtet wur-
den. Beide Führungsstile haben sich in einer Vielzahl von vor-
herigen Studien als hochwirksam für die Leistungsfähigkeit
von Teams herausgestellt (Wang/Oh/Courtright/Colbert, 2011).
Neben dem Führungsverhalten wurden ebenfalls Teampro-
zesse erfasst, die sich in der wissenschaftlichen Forschung als
besonders leistungswirksam erwiesen haben. Auf der Grundla-
ge einer Skala mit mehreren Fragen wurde das Ausmaß erfasst,
indem Teams ihre gemeinsame Arbeit reflektieren (Schippers/
Den Hartog/Koopman, 2007). Eine andere Skala erfasste, ob
Teammitglieder ohne Angst vor Zurückweisung Probleme an-
sprechen, ihre Meinung sagen und Fehler einräumen können
(Edmondson, 1999). Ebenso wurde die Teamenergie gemessen,
das heißt, in welchem Ausmaß die Teammitglieder ihre emo-
tionalen, kognitiven und verhaltensorientierten Potenziale im
Hinblick auf gemeinsame Ziele aktiviert haben (Cole/Bruch/
Vogel, 2012).
Bei der Erstellung des Fragebogens wurde besonders da-
rauf geachtet, dass nur psychometrisch validierte Skalen zum
Einsatz kamen, die bereits in der Wissenschaft erfolgreich an-
gewandt werden. Diese Skalen wurden jeweils mit „latenten
Konstrukten“ gemessen. Diesem Vorgehen liegt eine psycho-
metrische Messtheorie zugrunde, bei der jedes Konstrukt, je-
weils von einem ganzen Bündel von Fragen gemessen wird,
die die verschiedenen Facetten des entsprechenden Konstrukts
abdecken (Moosbrugger/Schermelleh-Engel, 2008). Die Fähig-
Evaluierung und Steuerung von Team-
prozessen in einem Automobilkonzern
Von
Dr. Florian Kunze, Ulrich Leicht-Deobald, Nina Lins
und
Prof. Dr. Heike Bruch
(Universität St. Gallen)