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Oktober_2011 PERSONALquarterly
W
as steuert das Verhalten von Mitarbeitern in Or-
ganisationen? Diese Frage stellen sich nicht nur
Organisationspsychologen, sondern häufig auch
Vorgesetzte, Teamleiter oder Kollegen. Neuro-
nale Prozesse werden in der organisationspsychologischen
Forschung weitgehend vernachlässigt. In ihrem Überblicks-
artikel zeigen die Autoren auf, wie neurowissenschaftliche
Erkenntnisse auch für die organisationspsychologische
Forschung genutzt werden können. Ein prominentes Beispiel
sind die sog. „Spiegelneuronen“ – spezielle Nervenzellen, die
uns mitfühlen und empathisch sein lassen und uns helfen,
durch Beobachten zu lernen. Dieses System überwacht
Ziele, Absichten und den mentalen Zustand der Menschen
in unserer Umgebung und ist in der Lage, deren Emotionen
zu erkennen und z. B. durch unbewusstes Nachahmen der
Mimik unseres Gegenübers automatisch soziale Beziehungen
aufzubauen. Dieses neuronale System kann daher zur Erklä-
rung von Teamprozessen beitragen. Bisher ist u. a. bekannt,
dass wir die Emotionen anderer imitieren und dabei gegen-
Wie das Gehirn unbewusst
Teamverhalten steuert
William J. Becker
(Texas Christian University),
Russell Cro-
panzano & Alan G. Sanfey
(University of Arizona): Organi-
zational Neuroscience: Taking Organizational Theory Inside
the Neural Black Box, Journal of Management July 2011 37:
933-961
positive Effekt von Mitsprache mit zunehmender Dauer der
Betriebszugehörigkeit schwächer. Die Autoren erklären diese
Abschwächung damit, dass Beschäftigte mit einer längeren
Betriebszugehörigkeit eher nach erhöhter Autonomie oder
erhöhtem Einfluss im Unternehmen streben und dadurch der
Wunsch nach erhöhter Mitsprache verdrängt wird.
Die Kosten für die Fluktuation eines einzelnen Beschäftigten
wird durchschnittlich auf 10.000 $ beziffert. Da die Intenti-
on, beim Unternehmen zu bleiben, ein guter Prädiktor für
die Fluktuation ist, lohnt es sich, neuen Beschäftigten mehr
Mitspracherecht einzuräumen, um sich im Unternehmen
einzubringen. Beschäftigte mit einer längeren Betriebszuge-
hörigkeit können dagegen kaum durch eine Erhöhung der
Mitsprache beeinflusst werden.
Besprochen von
Marius Wehne
r, Personalmanagement,
Mittelstand und Entrepreneurship, Justus-Liebig-Universität
Gießen
Folgende internationale Zeitschriften
verfolgen wir für Sie regelmäßig.
3
Academy of Management Journal
3
American Economic Review
3
Human Resource Management
3
Human Resource Management Review
3
Journal of Applied Psychology
3
Journal of Labor Economics
3
Journal of Organizational Behavior
3
Journal of Political Economy
3
Journal of International Business Studies
3
Journal of Political Economy
3
Management Science
3
Personnel Psychology
3
Quarterly Journal of Economics
3
Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie
Unser Rezensenten-Team wird darüber hinaus
an dieser Stelle auch richtungsweisende Veröffentlichungen
aus weiteren Publikationen darstellen.
Neues aus Top-Journals
seitig beeinflussen – im Teamkontext kann dadurch Grup-
penstimmung entstehen. Die neuronale Perspektive zeigt auf,
dass kognitive, bewusste Motive ihre Grenzen haben. Obwohl
wir fast immer denken, die rationalen, wahren Gründe für
unser Verhalten zu kennen, laufen viele neuronale Prozesse,
die unser Verhalten steuern, unbewusst ab. Traditionelle
Fragebogenstudien zum eigenen Verhalten von Mitarbeitern
bergen so die Gefahr, bewusste Prozesse zu überschätzen
und unbewusste Prozesse zu unterschätzen. Ergänzend
sind Verhaltensbeobachtungen oder physiologische Maße
wichtig. Auch Personalverantwortliche sollten sich bewusst
sein, dass das Verhalten von Mitarbeitern in Organisationen
nur begrenzt bewusst gesteuert ist. Unbewusste neuronale
Prozesse spielen häufig eine größere Rolle als vermutet wird.
Teamleiter und Teammitglieder können dafür sensibilisiert
werden und z. B. darauf achten, dass sich Teamprozesse wie
die emotionale Ansteckung nicht verselbstständigen.
Besprochen von
Nale Lehmann-Willenbrock
,
TU Braunschweig, Institut für Psychologie, Lehrstuhl für
Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie