PERSONALquarterly Oktober_2011
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STATE OF THE ART
_LEISTUNGSANREIZE
D
ie Safelite Glass Company stellte 1994 die Bezah-
lung ihrer Monteure von einem Fixlohn auf eine
leistungsorientierte Entlohnung um. Fortan wurde
nicht mehr jedem Monteur der gleiche Stundenlohn
gezahlt, sondern die Bezahlung an die Anzahl montierter Au-
toglasscheiben gekoppelt. Die durchschnittliche Produktivität
erhöhte sich anschließend um 44 %. Finanzielle Anreize hatten
in dieser viel zitierten Studie von Edward Lazear (2000) einen
eindeutig positiven Einfluss auf die Arbeitsleistung.
Im Jahr 2007 begann die oberste New Yorker Schulbehörde
ein Experiment mit dem Ziel, die Wirkung finanzieller An-
reize auf die Leistung von Lehrern zu untersuchen. In einigen
Schulen wurden Bonuszahlungen für Lehrer gewährt, deren
Höhe abhängig war von einer Vielzahl an Indikatoren wie An-
wesenheit, Studienleistungen und Abschlussquote der Schüler.
Verglich man später die Kennzahlen zwischen Lehrern, die
leistungsorientierte Bonuszahlungen bekommen konnten (Ex-
perimentalgruppe), mit Lehrern, denen weiterhin ein Fixgehalt
gezahlt wurde (Kontrollgruppe), so ergab sich kein statistisch
bedeutsamer Einfluss von Bonuszahlungen auf die relevanten
Zielgrößen. Nicht einmal das Verhalten der Lehrer hatte sich
signifikant verändert. Leistungsorientierte Entlohnung hatte
also keinen erkennbaren Einfluss (Fryer, 2011).
Wie lassen sich diese sehr unterschiedlichen Ergebnisse ein-
ordnen? Fragt man HR-Verantwortliche, so erhält man in der
Regel eine positive Einschätzung des Zusammenhangs zwi-
schen leistungsorientierter Bezahlung und Unternehmensleis-
tung. Entsprechend nutzen 57 % der deutschen Unternehmen
leistungsorientierte Entlohnungssysteme für Führungskräfte
und 37 % für ihre Mitarbeiter (vgl. Berger, Herbertz und Sli-
wka, 2011: 7). Regelmäßig, zuletzt im Rahmen der Finanzkri-
se, werden variable Vergütungssysteme jedoch auch kritisch
diskutiert, zum einen wegen der praktischen Implementie-
rungsprobleme, zum anderen aber aus einer grundsätzlichen
Skepsis gegenüber finanziellen Anreizsystemen.
Wir möchten mit diesem Artikel einen Überblick des ak-
tuellen empirischen Forschungsstands geben: Welche wis-
senschaftliche Evidenz gibt es zu Richtung und Stärke des
Zusammenhangs zwischen finanziellen Anreizen und Pro-
duktivität? Was leitet sich daraus für die Personalarbeit ab?
Finanzielle Anreize und Produktivität
Von
Prof. Dr. Torsten Biemann, Prof. Dr. Dirk Sliwka
(Universität zu Köln)
und
Prof. Dr. Heiko Weckmüller
(FOM Bonn)
Die zwei Eingangsbeispiele haben gezeigt, dass die Antwort
nicht ganz einfach ist. Wir beginnen unsere Analysen deshalb
zunächst mit Studien zur generellen Bedeutsamkeit leistungs-
orientierter Bezahlung und arbeiten anschließend Faktoren
heraus, die einen Einfluss auf die Stärke dieses Zusammen-
hangs haben.
Wie wirken finanzielle Anreize?
Es gibt verschiedene Wirkmechanismen, über die finanzielle
Anreize die Leistung beeinflussen können. In der Literatur
werden häufig drei Funktionen unterschieden, über die finan-
zielle Anreize letztlich einen positiven Einfluss auf die Produk-
tivität im Unternehmen ausüben können:
1. Motivationsfunktion:
Finanzielle Anreize führen zu einem
zusätzlichen Arbeitseinsatz der Beschäftigten im Sinne der
Unternehmensziele.
2. Informationsfunktion: Die mit den Anreizen verbundenen
Ziele geben eine Orientierung. Der Mitarbeiter erkennt, wel-
che Ziele dem Unternehmen besonders wichtig sind.
3. Selektionsfunktion: Der Arbeitsplatz wird für besonders
produktive Arbeitnehmer attraktiv. Infolgedessen entschei-
den sich überdurchschnittlich produktive Mitarbeiter eher
für ein Unternehmen, das ihnen durch finanzielle Anreize
zusätzliche Einkommensmöglichkeiten bietet (Selbstselek-
tion). Darüber hinaus verbleiben produktive Mitarbeiter bei
leistungsorientierter Vergütung eher im Unternehmen.
Betrachtet man die Bedeutung dieser verschiedenen Effekte,
so zeigt die oben beschriebene Safelite-Studie von Lazear bei-
spielsweise, dass sich der Produktivitätsgewinn ungefähr zur
Hälfte auf eine Leistungssteigerung der Arbeiter, ansonsten
auf einen Selektionseffekt zurückführen lässt. Versucht man
den zentralen Effekt zwischen finanziellen Anreizen und Leis-
tung zu verallgemeinern, bietet sich ein Blick auf existieren-
de Meta-Analysen an, die zahlreiche Einzelstudien zu einem
Gesamtbild verdichten. Ein Ausgangspunkt ist hier die Ar-
beit von Jenkins, Gupta, Mitra und Shaw (1998). Die Autoren
berücksichtigen insgesamt 39 empirische Arbeiten aus dem
Zeitraum 1965–1995. Übergreifend kann ein positiver Zusam-
menhang zwischen dem Einsatz finanzieller Anreize und der
Produktivität gemessen an der Output-Menge festgestellt wer-