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Oktober_2011 PERSONALquarterly
Schreiben wir weiblichen und männlichen Wissenschaftlern
unterschiedliche Fähigkeiten zu?
Ein zweiter Erklärungsansatz für geschlechterdifferente Karri-
ereverläufe stellt die Geschlechterrollenperspektive dar. Nach
dieser Auffassung besitzen Menschen äußerst stabile und weit-
reichende Vorstellungen davon, über welche Eigenschaften
und Kompetenzen Männer und Frauen typischerweise verfü-
gen. Diese sogenannten Geschlechtsrollenstereotype weisen
beiden Geschlechtern eine Reihe unterschiedlicher Attribute
zu. Während Männer in der Regel als handlungsorientiert,
zielstrebig, aggressiv, unabhängig und entscheidungsfreudig
beschrieben werden, gelten Frauen als gemeinschaftsorien-
tiert, fürsorglich, kommunikativ und beziehungsorientiert
(Heilman, 2001). Wurden Personen in Studien befragt, welche
Eigenschaften eine gute Führungspersönlichkeit auszeichnet,
wurden überwiegend typischmännliche Attribute genannt. Die
Assoziationsstärke zwischen der Führungstätigkeit und dem
männlichen Geschlecht ist damit offensichtlich groß, mit dem
weiblichen Geschlecht hingegen nur schwach ausgeprägt. In
experimentellen Studien (z. B. Heilman/Haynes, 2005) zeigte
sich zudem, dass Versuchspersonen identische Leistungsbe-
schreibungen schlechter bewerteten, wenn diese von einer
Frau im Vergleich zu einem Mann erbracht wurden. Selbst
wenn keinerlei Zweifel an der erbrachten individuellen Leis-
tung der beschriebenen weiblichen Führungskraft bestand,
wurde sie als weniger kompetent eingeschätzt als ihr männ-
liches Äquivalent. Diese Erkenntnisse führen zur Hypothese,
dass die geschlechterdifferenten Kompetenzzuschreibungen
eine Rolle spielen, wenn WissenschaftlerInnen Karrierechan-
cen zugewiesen werden: Obwohl Männer und Frauen offenbar
vergleichbare berufliche Leistungen erbringen, erhalten sie
möglicherweise unterschiedliche karriererelevante Chancen,
beruhend auf unterschiedlichen stereotypen Erwartungen an
ihre Kompetenzen. Hier liegt also eine potenzielle Quelle für
geschlechterdifferente Karriereverläufe.
Diese Hypothese wurde im Rahmen des Projekts in einem
mehrstufigen Prozess empirisch geprüft. Basierend auf ei-
ner Literaturrecherche und sechzehn ExpertInneninterviews
wurde eine Liste von Kompetenzen erstellt, die bei der Rekru-
tierung von WissenschaftlerInnen besonders berücksichtigt
werden, und damit als relevant für eine erfolgreiche Laufbahn
angesehen werden. Dabei wurde ein breiter Kompetenzbegriff
angewendet, sodass neben den Kompetenzen im engeren Sinne
(z. B. theoretische Kompetenz, technische Kompetenz) auch
Bereiche wie Führungsfähigkeit oder zeitliche Verfügbarkeit
identifiziert wurden.
Um zu überprüfen, ob diese Kompetenzen Frauen und Män-
nern in unterschiedlichem Grad zugeschrieben werden, wurde
die Kompetenzliste den TeilnehmerInnen der Onlinebefragung
vorgelegt. Sie wurden zu jeder einzelnen Kompetenz um eine
Einschätzung gebeten, inwieweit diese Kompetenz in ihrem
Abb. 2:
Karriererelevante wissenschaftliche
Arbeitsleistungen (Auszug)
hohe Karriererelevanz
3
eingeworbene Drittmittel
3
Umfang referierter Publikationen
3
Kongress-/Konferenzbeiträge
3
(…)
geringere Karriererelevanz
3
interne Aufgaben im Institut
3
Anzahl betreuter Dissertationen/Diplomarbeiten
3
Industrieerfahrung/Kontakte zur Wirtschaft
3
(…)
Team eher Frauen, eher Männern oder weder dem einen noch
dem anderen Geschlecht zugeschrieben wird. Die Ergebnisse
zeigen deutliche Unterschiede in den Zuschreibungen, wel-
che demonstrieren, wie lebendig „alte“ Geschlechtsrollenste-
reotypien doch sind. Die BefragungsteilnehmerInnen gaben
beispielsweise an, dass im Team den Wissenschaftlerinnen
in stärkerem Maße soziale Kompetenz und Teamfähigkeit
zugeschrieben wird als den Wissenschaftlern. Männlichen
Wissenschaftlern wurden hingegen Vorteile gegenüber ih-
ren weiblichen Kolleginnen zugeschrieben, wenn es um die
Einschätzung ihrer zeitlichen Verfügbarkeit und ihrer theo-
retischen und technischen Kompetenzen ging. Dabei waren
die Zuschreibungen unabhängig vom Geschlecht der befragten
Person: Frauen und Männer nehmen unterschiedlichen Kom-
petenzzuschreibungen in gleicher Weise wahr (vgl. Abb. 3).
Während diese Ergebnisse vorerst nur zeigen, dass gesell-
schaftlich tradierte Stereotypien – Frauen sind sozial kompe-
tent und Männer „können Technik“ – noch immer lebendig
sind, werden die Implikationen der unterschiedlichen Kom-
petenzzuschreibung für Karriereverläufe durch den nächsten
Untersuchungsschritt offensichtlich. Die TeilnehmerInnen der
Onlinebefragung wurden in einem separaten Teil der Befra-
gung um Angaben gebeten, welche Kompetenzen besonders
bedeutsam sind, wenn im Team karriererelevante Chancen
vergeben werden. Konkret wurden sie gebeten einzuschätzen,
wie bedeutsam die einzelnen Kompetenzen sind, wenn ein
Teammitglied ausgesucht werden soll, als Co-AutorIn bei ei-
ner hochrangigen Publikation mitarbeiten zu dürfen, oder an
einem Drittmittelantrag verantwortlich beteiligt zu werden.
Hier bildeten sich für beide Karrierechancen – um bei Co-
Autorenschaft und bei Drittmittelantrag eine Chance zu haben
– vier Kompetenzbereiche heraus: Die wichtigsten Entschei-
dungskriterien sind 1) die theoretische Kompetenz, 2) die zeit-
liche Verfügbarkeit, 3) die technische Kompetenz sowie 4) das
inhaltliche Interesse (vgl. Abb. 3).
Quelle: Eigene Darstellung