Mitte
Wenn etwas als Mitte bezeichnet wird,
dann wird dadurch sehr oft eine räum-
liche Dimension beschrieben. Im Duden
wird sie unter anderem als der Punkt de-
finiert, der von allen Enden (eines Kör-
pers) gleich weit entfernt ist. Sie kann
also der Mittelpunkt von etwas sein,
dann ist die Mitte tatsächlich eine klare
Ortsbestimmung. Vielleicht sogar in der
Politik? Im September finden Bundes-
tagswahlen statt. Und die Wählergrup-
pe, um die viele Parteien am stärksten
buhlen werden, wird die Mitte sein. Al-
les klar? Nein. Trotzdem wird die Mitte
– ohne Rücksicht auf Verluste – im poli-
Attraktives
Zentrum
Links daneben.
Die Mitte scheint auf den ersten Blick eine klar definierte
Position zu sein. Doch der Eindruck täuscht. Das wissen „Stadtplaner genauso
wie deutsche Parteien.“
Norbert Jumpertz, Staig
52
Graffiti
05 | 2013
Foto: Robert Adrian Hillman/shutterstock.com
tischen Vokabular gnadenlos breit getre-
ten. CDU und CSU sehen sich als „Par-
tei der Mitte“, auch der FDP liegt sie am
Herzen. Die SPD will nicht nachstehen.
Sie sieht sich seit 40 Jahren als Partei der
„Neuen Mitte“.
Die Suche nach der Mitte
Die Grünen suchen noch ihre Mitte-Jus
tierung. Frecher ist „Die Linke“, die sich
für den politischen Sektor abseits der
Mitte entschied. Ob das clever war, bleibt
abzuwarten. Zumal sich Dimensionen
verschieben. Das Mittelmeer war der
Mittelpunkt der antiken Welt und der im
Mittelalter. Seinen Namen hat es behal-
ten, aber niemand würde es heute als den
Mittelpunkt der Welt definieren. China
war das Zentrum des antiken Asien, wo-
her sein Name „Reich der Mitte“ (chine-
sisch: Zhong-guo) stammt.
Während das Mittelmeer seine
frühere Bedeutung nicht wieder erlan-
gen wird, sieht das bei China anders aus.
Es ist nur eine überschaubare Zeitspan-
ne weniger Jahrzehnte, bis das bevölke-
rungsreichste Land der Erde die USA als
globale Führungsmacht ablöst. Die Be-
völkerung zieht es in die Städte. Peking
und Shanghai platzen aus allen Nähten.
Ähnliches ist in anderen Schwellenlän-
dern zu beobachten. Ballungszentren
werden zu Megastädten, die ihr Gesicht
radikal ändern und um ihre Identität
fürchten müssen. Städte brauchen ein
Zentrum, wo alles zusammenläuft. Dort
pulsiert das Leben. Menschen treffen
aufeinander. Das macht den Reiz der
Stadt aus.
Doch wie ist es um ihre Zukunft be-
stellt? Viele Großstädte gelangen an die
Grenze ihrer Belastbarkeit. Der Gewer-
bepark auf der grünen Wiese setzt vor
allem dem eingesessenen Einzelhandel
in der Kleinstadt zu. Und das könnte
erst der Anfang sein. Die Verlockung
ist groß, die analoge durch die digitale
Stadt zu ersetzen. Im Internet in Ruhe
einzukaufen ist bequemer und – gerade
für den Handel – obendrein kostengüns
tiger. Das Logistikzentrum ersetzt die
Einkaufspassage – eine schrecklich Visi-
on? Vom chinesischen Gelehrten Laotse
ist der Satz überliefert: Wer seine Mitte
nicht verliert, der dauert.
f
|
»Die Mitte ist wichtig
und wertvoll. Schon der
chinesische Gelehrte Laotse
wusste: Wer seine Mitte nicht
verliert, der dauert.«