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06 | 2012
Jahresabrechnung [65.1]
Keine Rückstände aus Vorwirtschaftsperioden
nochmals beschließen
Die Wohnungseigentümer sind nicht berechtigt, bereits entstan-
dene, aber noch nicht erfüllte Zahlungsverpflichtungen eines
Wohnungseigentümers mit Stimmenmehrheit erneut zu be-
schließen und so neu zu begründen. Ein dennoch gefasster Be-
schluss ist wegen fehlender Beschlusskompetenz nichtig.
BGH, Urteil vom 9.3.2012, Az.: V ZR 147/11
Wohnungseigentumsrecht
Fakten:
Der Verwalter
hatte in der Jahresabrechnung
2007 in der Einzelabrechnung
eines Eigentümers unter der
Bezeichnung „Abrechnung
2006“ Rückstände aus 2006
aufgenommen. Der Eigentü-
mer zahlte diese Rückstände
jedoch nicht, weshalb seitens
der Gemeinschaft gegen
ihn ein Hausgeldverfahren
eingeleitet wurde. Freilich
erfolglos, da der Eigentümer
zumindest auf Grundlage des
Genehmigungsbeschlusses
über die Jahresabrechnung
2007 hierzu nicht verpflich-
tet ist. Zunächst stellen
Beitragsrückstände keinen
zulässigen Bestandteil einer
Jahresabrechnung dar. Diese
ist auf die Abrechnung der
Kosten des abgelaufenen
Wirtschaftsjahres unter Be-
rücksichtigung der von den
Eigentümern geleisteten Vor-
schüsse beschränkt. Insoweit
wirkt die Jahresabrechnung
auch nur hinsichtlich des auf
den einzelnen Eigentümer
entfallenden Betrags, der
die in dem Wirtschaftsplan
für das abgelaufene Jahr
beschlossenen Vorschüsse
übersteigt, anspruchsbe-
gründend.
Eine erneute Beschlussfas-
sung über Rückstände aus
abgerechneten Wirtschaftspe-
rioden stellt die Neubegrün-
dung einer bestehenden
Schuld dar. Hierzu fehlt den
Eigentümern die Kompetenz.
Eine solche ergibt sich insbe-
sondere nicht aus § 28 Abs. 5
WEG, denn diese Vorschrift
berechtigt nur zur Festlegung
von Vorschüssen für die
Zukunft und zur Abrechnung
der im abgelaufenen Wirt-
schaftsjahr angefallenen Kos-
ten. Wäre es anders, könnten
die Eigentümer durch
Aufnahme aller rückstän-
digen Beiträge in die jeweils
aktuelle Jahresabrechnung
die Vorschriften über die
Verjährung durch Mehrheits-
beschluss faktisch außer Kraft
setzen. Das aber fällt ebenso
wenig in ihre Zuständigkeit
wie die Begründung einer
Haftung eines Eigentümers
durch Mehrheitsbeschluss.
Fazit:
Die Entscheidung
hat nicht nur Bedeutung
für Beitragsrückstände
aus beschlossenen Jahres-
abrechnungen der Vorjahre,
sondern auch für etwaige
rückständige Beitragsfor-
derungen aus dem dem
Abrechnungsjahr zugrunde
liegenden Wirtschaftsplan.
Auch diese bereits beschlos-
senen Beitragsleistungen
können nicht im Rahmen
der Jahresabrechnung (neu)
beschlossen werden.
Gerichtsverfahren [65.2]
Fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung nicht zum Nachteil
der Partei
Ein durch eine inhaltlich unrichtige Rechtsmittelbelehrung her-
vorgerufener Rechtsirrtum einer anwaltlich vertretenen Partei ist
nicht verschuldet, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offen-
kundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nachvoll-
ziehbar ist.
BGH, Beschluss vom 12.1.2012, Az.: V ZB 198/11
Fakten:
Die Wohnungs-
eigentümer hatten unter
anderem die Bestellung eines
neuen Verwalters beschlos-
sen. Dieser Beschluss wurde
angefochten. Streitig war
besonders, ob überhaupt ein
wirksames Prozessrechts-
verhältnis entstanden war,
da wegen der Anfechtung
der Wahl des Verwalters
die Gefahr bestanden hatte,
dieser werde die Eigentümer
nicht sachgerecht unterrich-
ten. Tatsächlich aber hatte
er die Eigentümer über den
anhängigen Rechtsstreit in-
formiert. Nach der Vorschrift
des § 45 Abs. 1 WEG ist der
Verwalter Zustellungsver-
treter der Eigentümer, wenn
diese Beklagte im Rechtsstreit
sind. Eine Ausnahme gilt
nur, wenn er als Gegner der
Eigentümer am Verfahren
beteiligt ist oder wenn auf
grund des Streitgegenstands
die Gefahr besteht, er werde
die Eigentümer nicht sach-
gerecht unterrichten. Eine
Gefahr besteht nicht schon,
wenn vor der Zustellung die
Möglichkeit nicht sachge-
rechter Unterrichtung im
Hinblick auf den Streitgegen-
stand nicht fernliegt, ohne
dass ein Konflikt zwischen
Verwalter und Eigentümern
aufgetreten ist. Der Verwalter
ist als Zustellungsvertreter
nur ausgeschlossen, wenn
eine konkrete Gefahr sach-
widriger Information besteht.
Die ist erst gegeben, wenn
ein echter Konflikt zwischen
den Interessen des Verwalters
und den übrigen vertretenen
Eigentümern auftritt.
Fazit:
Diese wichtige Klar-
stellung des BGH beseitigt
insbesondere die Unsicher-
heit, ob nun eine Klage in
vergleichbaren Konstellatio-
nen zwingend einem Ersatz-
zustellungsvertreter zuzustel-
len ist, selbst wenn aufgrund
eines ungestörten Vertrau-
ensverhältnisses sichergestellt
ist, dass der Verwalter die
Eigentümer über den Verlauf
eines gegen sie anhängigen
Verfahrens ordnungsgemäß
unterrichten wird.
Verwalter als Zustellungsvertreter [65.3]
Ausschluss nur bei konkreter Gefährdung
Der Verwalter ist als Zustellungsbevollmächtigter gemäß § 45 Abs.
1 WEG ausgeschlossen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des
Gerichts über die Durchführung der Zustellung in der Sache be-
gründete Umstände ersichtlich sind, die die konkrete Gefahr einer
nicht sachgerechten Information der Wohnungseigentümer recht-
fertigen.
BGH, Urteil vom 9.3.2012, V ZR 170/11