DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 5/2016 - page 12

STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
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5|2016
Das Stellplatzäquivalent
Wie Quartiersentwicklung mit zukunftsfähigen
Mobilitätskonzepten verknüpft werden kann
In der Planungspraxis wird Mobilität meist als Automobilität verstanden. Dies erhöht unweigerlich den
Anteil des Autoverkehrs in der Stadt und widerspricht zudem ökonomischen, ökologischen und sozialen
Nachhaltigkeitszielen im Wohnungsbau. Die ersten Projektentwickler beginnen umzudenken: Im Zuge der
Neubebauung der „Siedlung Westend“ in Berlin-Charlottenburg plant die Deutsche Wohnen AG ein
innovatives Mobilitätskonzept.
Mehr als zwei von drei Wegen beginnen oder enden
im Wohnquartier, wobei die Wahl des Verkehrs-
mittels davon abhängt, welche Verkehrsmittel
einfach und schnell verfügbar sind. Somit ent-
scheidet sich an der Haustüre, wie wir unterwegs
sind. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die ur-
bane Verkehrspraxis immer multimodaler wird.
In den Bauordnungenwird allerdings immer noch
von der Alleinherrschaft des Autos ausgegangen:
Mobilität wird in der Regel ausschließlich als
Automobilität betrachtet und diese wird in der
Planungspraxis auf zu errichtende Parkplätze re-
duziert. Das ist nicht mehr zeitgemäß und schon
gar nicht zukunftsorientiert, denn das Verhältnis
zwischen Stadt undMobilität ist ein dialektisches:
Wenn der Bau von Stellplätzen das Auto als prä-
feriertes Verkehrsmittel fördert, so verhindert
dies im gleichen Maße, dass andere Formen der
Mobilität gestärkt werden.
Zukunftsfähige
Verkehrsinfrastrukturplanung
GemäßdiesemGedankenbedarfeseinerzeitgemä-
ßen Anpassung der Verkehrsinfrastrukturplanung.
Anstatt zu fragen, welche Infrastruktur zu errich-
ten ist, wenn vergangenes Verkehrsverhalten zu
Rate gezogen wird, ist es zukunftsweisender, zu
fragen: Welches alternative, standortspezifische
Mobilitätsangebot muss bereitgestellt werden,
um eine stadtverträgliche Verkehrsentwicklung
zu erreichen? Der Planungsansatz des „Stell-
platzäquivalents“ greift diese Gedanken auf: Aus
demWissen heraus, dass sichMobilitätsverhalten
über ein attraktives und haustürnahes Angebot
bestimmt, ist die Planungspraxis anzupassen und
zu ermitteln: Wie viele Stellplätze sind wir noch
bereit zu halten, wennwir stadtverträgliches Ver-
kehrsverhalten fördern und fordern?
„Man kann nicht in die Zukunft schauen, aber
man kann den Grund für etwas Zukünftiges legen
– denn Zukunft kannman bauen“, sagte schon An-
toine de Saint Exupéry. Ein Gedanke, der auch die
praktische Ausgestaltung des Planungsansatzes
gemäß dem Stellplatzäquivalent leitet.
Standortspezifische Mobilitätskonzepte
Dabei wird der Standort des Bauprojektes unter
die Lupe genommen und die verkehrliche Erschlie-
ßung für alle Verkehrsmittel analysiert. Anschlie-
ßend wird das Substitutionspotenzial von Wegen
des motorisierten Individualverkehrs (MIV) durch
die Ertüchtigung, Optimierung und Bereitstellung
von alternativen Verkehrsträgern (ÖPNV, Sharing-
angeboten, Rad- und Fußverkehr) betrachtet.
Daraus ergibt sich ein standortspezifisches Mo-
bilitätskonzept, das infrastrukturelle, angebots-
seitige und informatorische Einzelmaßnahmen
aufführt. Diese reichen von der Ausgestaltung
der Fahrradabstellplätze über die Umsetzung
von Sharingangeboten, der räumlichen und digi-
talen Vernetzung der Mobilitätsangebote hin zu
Maßnahmen der Nutzeraktivierung beispielsweise
durch Informationsveranstaltungen. Bereits in der
Vorphase von Bauprojektenwird für den Standort
eine Potenzialabschätzung aufgezeigt, wie viele
Richard Kemmerzehl
Projektmanager
Mobilitätskonzepte
Inno2grid GmbH
Berlin
VARIANTE L
Stellplatzbedarf ohne Mobilitätskonzept: 509 Stellplätze
Handlungsfelder
Umfang
Förderung ÖPNV
+
Förderung Radverkehr
++
lokales Carsharingangebot
++
weitere Sharingangebote
+
Nutzeraktivierung
+
Vernetzung der einzelnen Angebote
+
Substitutionspotenzial: 253 Stellplätze
Verbleibender Stellplatzbedarf: 256 Stellplätze
Quelle: InnoZ / Inno2grid
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