Seite 36 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2014_08

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Bitte keine Moralisierung
der Energiewende!
Haben wir gedacht, die Energiewende sei ein technisch-politisches
Konzept? Seitdem es schwieriger wird mit dem Umbau der Energiever-
sorgung macht ein ethisch-moralischer Begriff Furore: Entsolidarisie-
rung. Was bitte soll das?
Solidarität ist ein wesentliches Prinzip unseres Zusammenlebens: Ohne
Gemeinschaftsgeist, Verbundenheit und Zusammenhalt innerhalb
von Gruppen bis hin zu Staaten und ohne gegenseitige Hilfe bliebe
rücksichtsloser Egoismus übrig. Insofern war die Verwendung von
„Entsolidarisierung“ für selbsterzeugten Strom geschickt. Der Begriff
soll ausdrücken, dass derjenige, der Strom für den Eigenverbrauch
erzeugt, die anderen mit den Kosten der zentralen Stromerzeugung,
der Netzfinanzierung und der Bezahlung der erneuerbaren Energien
allein lässt, sich quasi davonstiehlt. Das ist hervorragend populistisch
und plakativ, aber leider grundfalsch.
Einerseits: Die Politik hat sich entschieden, Stromerzeugung aus
erneuerbaren Energien zu fördern. Die Stromverbraucher müssen dies
entsprechend der Menge des verbrauchten Stromes finanzieren, zu-
mindest wenn sie keine industriellen Großverbraucher sind. Ist da nicht
jede Form des Stromsparens „Entsolidarisierung“? Auch Transferein-
kommensbezieher finanzieren mit – ist das „solidarisch“?
Andererseits: Strom muss nicht nur erzeugt, sondern über Netze auch
zum Empfänger transportiert werden. Es ist illusorisch, zu glauben, in
einer modernen Industriegesellschaft könnte die Stromerzeugung für
Industrie und Gewerbe wie für die Bürger autark erfolgen. Das Netz
an sich muss daher finanziert werden. Für private Haushalte erfolgt
die Netzfinanzierung über die verbrauchte Strommenge. Ist da nicht
ebenfalls jede Form des Stromsparens „Entsolidarisierung“?
Sachlich gesehen müssten deshalb verbrauchsunabhängige Kosten
über Grundkosten finanziert werden und nur verbrauchsabhängige
Kosten über Verbrauchskosten. Die Netzentgelte könnten z. B. von
der nachgefragten Leistung aus dem Netz abhängen. Die Förderung
der erneuerbaren Energien könnte in den Bundeshaushalt eingestellt
werden. Der wird aus den Steuern gespeist, jeder zahlt nach seiner
Leistungsfähigkeit. Das hätte auch den Vorteil, dass das Parlament
demokratisch entscheiden müsste, wie viel öffentliches Geld welchen
Teil der Energiewende unterstützen soll.
Menschen investieren dort in die Stromerzeugung, wo dies für sie
wirtschaftlich sinnvoll ist. Wenn Politik bestimmte Arten der Strom-
erzeugung fördert oder erschwert muss sie also das Gesamtsystem im
Blick haben. Technische und politische Experten dafür hätten wir im
Land. Moralische Begriffe helfen uns nicht weiter.
KOLUMNE TECHNIK
Ingrid Vogler
Referentin Energie, Technik, Normung
GdW, Berlin
Weitere Informationen:
d
Contracting
Bauverein und HSE beschließen
Zusammenarbeit
Die Bauverein AG in Darmstadt plant gemeinsam mit dem Energiever-
sorger HSE AG ein Neubauprojekt mit dezentraler Energieversorgung in
Darmstadt-Arheilgen. Ein von der HSE errichtetes Blockheizkraftwerk soll
die 88 Wohneinheiten und eine Kindertagesstätte mit Wärme versorgen;
der dabei anfallende Strom wird den Mietern über die HSE-Vertriebstoch-
ter ENTEGA zu einem vergünstigten Preis angeboten. Der Brennstoff wird
zu über 90 % in nutzbare Energie umgewandelt, bei einer vergleichbaren
konventionellen Nutzenergieerzeugung sind es höchstens 60 %. Somit
kann der CO
2
-Ausstoß um ca. 20 t im Jahr reduziert werden. Baube-
ginn für das Blockheizkraftwerk ist im Herbst 2014. Nach Angaben der
Beteiligten läuft der Vertrag für Betrieb und Unterhalt der Strom- und
Wärmeerzeugungsanlage über zehn Jahre.
Modellprojekt in Berlin
Umbau zum Eigen-Energie-Haus
Die degewo AG baut in Berlin-Lankwitz ein Bestandsgebäude mit 64
Wohneinheiten zum Eigen-Energie-Haus um. Das „degewo-Zukunftshaus“
soll sich selbst mit Wärme und einem Teil des benötigten Stroms versor-
gen. Das kommunale Wohnungsunternehmen investiert 4,8 Mio. € in den
Umbau des Hauses.
Im„Eigen-Energie-Haus“ sollen verschiedene Technologien zum Einsatz
kommen: Photovoltaik, Solarthermie, Strom- und Wärmespeicherung,
Wärmepumpen und Lüftungssysteme mit Wärmerückgewinnung. Die
Gebäudehülle wird auf Passivhausstandard gedämmt. Diese Kombination
von Maßnahmen innerhalb eines bereits bestehenden Wohngebäudes sei
bislang einzigartig, sagte degewo-Vorstandsmitglied Frank Bielka.
Die Wohnungen werden während des 2016 beginnenden 15-monatigen
Umbaus nicht bewohnbar sein. Betroffenen Mietern wird eine andere
bezahlbare Wohnung gestellt, zudem werden sie bei der Vergabe der
Wohnungen im „degewo-Zukunftshaus” bevorzugt.
Weitere Informationen:
Visualisierung: Das „degewo-Zukunftshaus” nach dem Umbau
Quelle: degewo
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8|2014
ENERGIE UND TECHNIK