Seite 30 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2014_08

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Andererseits galt es, auch städtebauliche und
denkmalpflegerische Belange zu berücksichtigen.
Historisch gesehen standen in der Carl-Ritter-
Straße die Nebengebäude deutlich abgesetzt vom
Vorderhaus, das sich zur Steinbrücke orientiert.
Die Architekten vermieden daher einen opti-
schen Zusammenschluss beider Baukörper und
unterschieden diese in Höhenentwicklung und
Fassadengestaltung. So lassen sich im Rückblick
auf den abgerissenen Bestandsbaukörper sowie
den historischen Kontext wieder zwei separate
Gebäude erkennen, deren Größe sichmaßstäblich
zu den benachbarten Fachwerkhäusern fügt. Das
flache begrünte Dach auf dem untergeordneten
Gebäude und ein Satteldach zur Steinbrücke hin
folgen diesem Ansatz. Auf diese Weise bedienen
die Architekten das Bild der überlieferten Dach-
landschaft aus Zwerchhaus und Dachgauben sowie
die Herstellung einer Giebelseite, wie sie bei den
Vorgängerbauten ebenfalls typisch war.
Zeitgemäße Aufteilung
Die Wohnungen liegen in den Ober- und Dachge-
schossen. Der Zugang erfolgt über den Hof, von
dort aus werden sie barrierefrei mittels Aufzug
erschlossen. Die Grundrisse konzipierten die Ar-
chitekten so, dass die Schlafbereiche eher zum
ruhigen Hof hin ausgerichtet sind und die Wohn-
bereiche sich jeweils zum Stadtraum orientieren.
Das Erdgeschoss ist für Gewerbe vorgesehen. Bei
den Schaufenstern wurde als Reminiszenz an die
historische Bauweise auf bodentiefe Verglasung
verzichtet. Im Hinblick auf die Kleinteiligkeit ge-
mäß demhistorischen Kontext wählten die Archi-
tekten eine Pfosten-Riegel-Konstruktion, mit der
die Schaufensterflächen entsprechend gegliedert
werden.
Moderne Fassade neben
mittelalterlichem Fachwerk
Die Angst vor der Aberkennung des Welterbe-Sta-
tus hat manche Diskussion im Gestaltungsbeirat
der Stadt begleitet. Auch die Denkmalbehörde des
Landes musste gewonnenwerden. „Wir haben eine
ruhige Lösung gesucht, die in sich stimmig ist,
mit genau durchdachten Fensterproportionen
und ausgebildeten Sockelbereichen“, erläutert
Projektarchitekt Lauterbach vom Büro Arc aus
Halberstadt. Überzeugt hat – neben der passge-
nauen Kubatur – als weiteres wichtiges gestal-
terisches und denkmalpflegerisches Element die
charakteristische Lamellenfassade. Sie ist eine
zweischalige Konstruktion, die die Architekten
auf die historische Gebäudekante setzten. Ihre
Anordnung in horizontaler und waagerechter
Richtung interpretiert die Gliederung des Fach-
werks und schafft eine angemessene Maßstäb-
lichkeit. In Anlehnung an die Architektursprache
der überwiegend geschlossenen Gebäudefassa-
den der benachbarten Fachwerkhäuser setzt die
vorgehängte Lamellenfassade deren Prinzip mit
modernen Mitteln um.
Die neuen Freibereiche wurden unscheinbar hinter
der modernen Lamellenfassade angeordnet. Auch
wirkt es, als ob die großflächigen Fensteröffnun-
gen der einzelnenWohnungen teilweise hinter den
Lamellen „verschwinden“. Denn mittels vorge-
hängter Fassade treten sie gestalterisch gewollt in
den Hintergrund. „Mit diesemgeschickten, trans-
luzenten Detail der Fassadenplanung konntenwir
die Sehnsucht nach Freibereichen, nach Balkonen
Glückwunsch
zum Bauherren-
preis Neubau.
Ihr Projekt liegt inmitten mittelalterlicher
Bebauung. Womit sind Sie als kleines Unter-
nehmen in der Welterbe-Stadt konfrontiert?
Auch wenn unsere Stadt eine sehr große Anzie-
hungskraft für Touristen hat, haben wir wenig
Industrie, kaum Gewerbegebiete und damit zu
wenige gut bezahlte Arbeitsplätze. Mit Einge-
meindungen hat Quedlinburg gerade einmal
25.000 Einwohner. Die Bevölkerung schrumpft.
Ein weiterer Rückgang von 15% in den nächsten
Jahren ist prognostiziert.
Wie setzt sich Ihr Bestand zusammen und wie
fügt sich hier ein moderner Neubau ein?
Unser Bestand reicht vom Fachwerkhaus über
Bauten aus den 1960er Jahren bis zu Quartieren
mit industriellemPlattenbau der DDR. Bei Durch-
schnittsmieten von 4,35 €/m
2
müssen wir unsere
Bestände schrittweise modernisieren, wobei wir
Wert auf einen Mix an Wohnungsgrößen, von der
1-Raum- bis zur 4-Raum-Wohnung, legen. Als
kommunales Unternehmen suchen wir mit un-
serem Angebot eine Balance zwischen sozialem
Auftrag und Zielen der Stadtentwicklung. Es geht
auch darum, die Stadt zu revitalisieren und ein
zeitgemäßes Angebot mit guter Infrastruktur zu
bieten.
Wie finden Sie in der historischen Stadt
Raum für Neubau? Wie realisieren Sie die-
sen?
Wir haben einige unbebaute Grundstücke. In der
Carl-Ritter-Straße/Steinbrücke handelte es sich
um Bauten von 1958, die inmitten der Fachwerk-
häuser unter Ensembleschutz standen. Manchmal
ist es jedoch sinnvoll, auch solche Bestände für
einen Ersatzneubau abzureißen. Im konkreten
Fall war die Substanz sehr marode, eine Moder-
nisierung hätte keinen sinnvollen Standard zu
vertretbaren Kosten ergeben. Im Neubau reali-
sierenwir hier aufgrund der Inanspruchnahme von
Fördermitteln Mieten in der Höhe begrenzt auf
5,40 €/m
2
. Als kommunales Unternehmen, mit
der Stadt als alleinigemGesellschafter, habenwir
den Anspruch, Wohnraummit bezahlbarenMieten
bereitzustellen. Wir bauenmit Augenmaß, müssen
Ertragskraft und Investition im Blick halten und
nutzen natürlich Fördermittel für Modellvorha-
ben, KfW-Mittel für energieeffizientes Bauen,
etwa hier mit demBlockheizkraftwerk. Außerdem
nutzen wir die aktuell günstigen Darlehen.
Interview mit Sven Breuel, WoWi-Geschäftsführer
„Neues in der Altstadt”
Quelle: Wohnungswirtschaft Quedlinburg
Die raffinierte Straßenfassade mit den vorgehängten
Lamellen ermöglicht eine großflächige Verglasung
und behält nach außen die kleinteilige Gliederung der
benachbarten Fachwerkbauten bei
Quelle: Adrian Schulz/Arc Architekturconzept GmbH
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NEUBAU UND SANIERUNG