Seite 17 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2014_08

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Dr. Axel Viehweger:
Wichtig ist doch die Frage:
Was ist wirklich notwendig undwas ist bezahlbar?
Hans-JörgMüller:
Man kann klein anfangen und
hinterher upgraden. Und es muss auch preislich
stimmen. In der Produktentwicklung arbeiten
Designer, die natürlich immer das komplette
Programm im Einsatz haben wollen. Aber jede
Wohnung, in die ein bisschenmehr Barrierefreiheit
oder Komfort kommt, ist ein Gewinn, und jeder
Installateur, der ein bisschen was davon versteht,
ist ein Gewinn. Wenn der Mieter dann ein Upgrade
wünscht, lässt sich das auch später machen.
Ulrike Silberberg:
Wie haben Sie die passende
Firma für die Badsanierung gefunden, Herr To-
mahogh-Seeth?
Axel Tomahogh-Seeth:
Nun, wir nehmen an
Fachtagungen teil und sind Mitglied von Arbeits-
kreisen. Entschieden haben wir uns letztlich für
die Firma Blome. Eigentlich wollen wir ja Hand-
werksfirmen aus der Region beschäftigen. Das
heißt, wir vergeben i. d. R. Einzelaufträge. Bei
einem so komplexen Thema wie dem Bad würde
das allerdings bedeuten, verschiedene Gewerke
beauftragen und koordinieren zu müssen, was zu
längeren Bauzeiten führen würde. Die Sanierung
eines Bades im Bestand würde auf diese Weise
drei Wochen dauern. Das ist dem Mieter nicht
zumutbar.
Die Firma fertigt die Bäder in ihren Werkshallen
vor und ist in der Lage, innerhalb von sieben Tagen
ein Bad komplett zu installieren. Dabei sind alle
Vorrichtungen, die jetzt nicht benötigt werden,
vorinstalliert und können später bei Bedarf an-
gebracht werden.
Ulrike Silberberg:
Wie gehen Sie damit um, dass
der Preis höher ist, als es bei einer konventionellen
Ausschreibung der Fall wäre?
Axel Tomahogh-Seeth:
Erst mal scheint es teurer
zu sein, da gebe ich Ihnen recht. Aber wir haben
einen Rahmenvertragmit einemgünstigeren Preis
abgeschlossen.
Hinzu kommt: Wenn wir innerhalb von sieben
Tagen ein Bad wieder funktionsfähig und damit
die Wohnung wieder im Vermietungszustand ha-
ben, dann sind wir auch in der Lage, Erträge zu
generieren. Wenn wir aber drei oder vier Wochen
eineWohnung lahmlegen undMietminderungen in
Kauf nehmenmüssen, muss das mit einberechnet
werden.
Ulrike Silberberg:
Und wie reagiert das ortsan-
sässige Handwerk, wenn Sie als Genossenschaft
nicht vor Ort ausschreiben?
Axel Tomahogh-Seeth:
Unsere Handwerksfirmen
haben viele Aufträge, da hat sich noch keiner be-
schwert, dass er nicht zum Zuge gekommen ist.
Man muss auch das Konzept von Blome sehen.
Diesen kompletten Service kann keine Handwerks-
firma anbieten.
Angelika Plümmer:
Wenn es umdie Kostenredu-
zierung geht, kann auch die Architektur einen Bei-
trag leisten. Ich finde es schade, dass Architektur
so oft auf Design reduziert wird. Das greift zu kurz
und zu einseitig. Gute Architektur muss nicht teu-
er sein. Gerade unser Studiengang kümmert sich
umangepasste und nachhaltige Lösungskonzepte
und darin stellt der Kostenfaktor einen wichtigen
Teilaspekt dar.
Wir haben in der Fachhochschule eine Ausstellung
zumbarrierefreien Leben. Sie zeigt unter anderem
eine Badlösung, diemit Vorfertigung arbeitet und
anspruchsvoll gestaltet ist. Es gibt schon erste
Ansätze und trotzdemvertiefenwir die Diskussion
über Barrierefreiheit und erarbeiten innovative
Lösungen.
Axel Tomahogh-Seeth:
Anregungen dafür kön-
nen wir bei der Hotelbranche holen. Dort sind
mittlerweile die meisten Bäder barrierearm.
Vielleicht sollten wir nicht immer auf ältere und
behinderte Leute achten, sondern die Barriere-
armut als ganz normalen Standard betrachten.
Hans-JörgMüller:
Tatsächlich ist die Hotelbran-
che ein Treiber der Entwicklung, weil sie den Alte-
rungsprozess frühmitbekommt. Dabei wünschen
sich die Hotels Lösungen, bei denen sie ein Bad
ohne großen Aufwand umrüsten können und dann,
wenn der hilfsbedürftige Gast wieder abgereist
ist, die zusätzliche Ausstattung auch wieder ent-
fernen können. Wir haben in den letzten Jahren
viel mit Hotelketten zusammengearbeitet. Daraus
sind sehr interessante Produkte entstanden, z. B.
einWaschtisch, der unterfahrbar ist und trotzdem
schick aussieht. Wir legen immer sehr viel Wert
darauf, Lösungen zu schaffen, die überhaupt nicht
barrierefrei aussehen. Es geht um Design for all,
um Universal Design. Ich finde nichts schlimmer,
als jemandem mit der Ausstattung seine Ein-
schränkungen vor Augen zu führen.
Ulrike Silberberg:
Wenn ich das bisherige Ge-
spräch Revue passieren lasse, habe ich das Ge-
fühl, dass alle hier am Tisch die Einschätzung
teilen, dass wir vor einem Imagewandel stehen.
Herr Dr. Viehweger hat darauf hingewiesen, dass
84 % der sächsischen Genossenschaftsmitglie-
der eine barrierefreie Dusche habenmöchten. Ein
Stigma ist also offensichtlich nicht mehr damit
verbunden. Hat sich Universal Design tatsächlich
durchgesetzt?
Hans-Jörg Müller:
Wir stehen aus meiner Sicht
erst am Anfang. Bei den Handwerkern gibt es ei-
nige, die sich damit auseinandergesetzt haben,
aber noch längst nicht alle. Ich glaube jedoch,
dass der Markt das richten wird, weil das Thema
Demografie einfach voranschreitet.
Axel Tomahogh-Seeth:
Ich tue mich schwer mit
einer Einschätzung, wie weit der Wandel gediehen
ist. Für unsere Genossenschaft war das schon vor
zehn Jahren ein Thema. Von daher denke ich, dass
es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch die anderen,
die diesen Weg noch nicht gegangen sind, erken-
nen, welche Bedeutung die Barrierearmut hat. Und
der Druck über den Markt wird größer, weil die
Nachfrage jetzt vorhanden ist, das hat Herr
ist Vorstand der
Gemeinnützigen
Baugenossen-
schaft Dormagen
eG, Dormagen. Die
Genossenschaft
wurde 1926
gegründet und
hat rund 2.500
Wohnungen.
AXEL TOMAHOGH-SEETH
„Eine Herausforderung ist, dass die Bäder in den Wohnungen aus den
1960er und 1970er Jahren sehr klein sind. Was man in Baumärkten sieht,
passt in aller Regel nicht in unsere Bäder. Da ist die Industrie gefordert.”
Axel Tomahogh-Seeth
„Von der Vermarktungsseite her ist oft der Fehler gemacht worden, nur
die großen, zusammenhängenden Systeme zu kommunizieren.
Dabei gibt es viele kleine Lösungen.”
Hans-Jörg Müller
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