Seite 16 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2014_08

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der Wohnungswirtschaft und den Installateuren
fertige Planungen an. Im Home-Bereich arbeiten
wir nicht mit Architekten.
Angelika Plümmer:
Das ist natürlich schade.
Hans-Jörg Müller:
Ja, aber wir müssen von dem
ausgehen, was Fakt ist. Wenn jemand das Bad in
seinem Einfamilienhaus umbaut, dann ist nie ein
Architekt dabei, sondern das macht der Installa-
teur. Deshalb haben wir mittlerweile über tau-
send Installateure geschult. Denn was nützen die
Produkte, wenn hinterher die Installationshöhen
und gewisse Unterfahrbarkeitsmerkmale nicht
eingehalten werden, wenn die Produkte falsch
angewendet werden oder wenn die falschen Pro-
dukte ausgesucht werden?
Dr. Axel Viehweger:
Wir bei den sächsischen
Wohnungsgenossenschaften haben seit einigen
Jahren das Projekt AlterLeben. ImRahmen dieses
Projekts haben wir aufgezeigt, wie sich Wohnun-
gen so umbauen lassen, dass die Bewohner lange
darin bleiben können. Dabei geht es vorwiegend
umkleine Dreiraumwohnungen, die vor demKrieg
oder in den Fünfzigerjahren gebaut worden sind
und die kleine, schmale Bäder haben. Aus diesen
Dreiraumwohnungen machen wir Zweiraum-
wohnungen. Dabei ist die Größe des Bades ein
entscheidender Punkt. Wir haben festgestellt,
dass die meisten Genossenschaftsmitglieder gar
nicht wissen, welche Möglichkeiten es gibt. Die
Information der Mitglieder und Mieter ist also ein
wichtiges Thema.
Wir haben die Genossenschaftsmitglieder in ei-
ner Umfrage nach ihren Wünschen gefragt. Das
Ergebnis beim Bad war eindeutig: 84% der Teil-
nehmer wollen eine ebenerdige Dusche. Das hat
mit Behinderungen nichts zu tun. Außerdemmuss
das Bad eine gewisse Größe haben, damit man
auch mit dem Rollator reinkommt. Wichtig sind
ferner die Höhe von Waschbecken und Toilette,
aber auch gewisse Sicherheitsmerkmale, insbe-
sondere einWasserstopp. Viele unserer Mitglieder
haben nämlich Angst, dass sie vergessen könnten,
den Wasserhahn zuzudrehen, wenn mal das Te-
lefon klingelt. Ein weiteres zentrales Thema ist
das Licht. Laut Statistik passieren ja die meisten
Stürze nachts auf demWeg zur Toilette. Hier hilft
eine Lichtleitung, beispielsweise über gedimmtes
Flurlicht. Und weil sich die meisten Stürze imBad
ereignen, bauen wir dort Bewegungsmelder ein,
die mit einem 24-Stunden-Alarmsystem verbun-
den sind.
Bei unseren knapp 300.000 Wohnungen haben
wir einen Sanierungsstand von über 90% erreicht.
Aber zwanzig Jahre nach der Sanierungswelle in
der Nachwendezeit müssen wir wieder an die
Bäder ran. Dabei müssen wir allerdings auch die
Frage der Finanzierung beachten. Die Kosten kön-
nenwir nicht komplett auf dieMiete umlegen, das
wäre illusorisch. Wir müssen auch deutlich sagen,
dass wir nie alleWohnungenmit diesemStandard
werden umbauen können. Unser langfristiges Ziel
sind 10%derartig umgebauter Wohnungenmit As-
sistenzsystemen. Es eignet sich ja auch nicht jede
Wohnung dafür. ImErdgeschoss ist die ebenerdige
Dusche kein Problem, inmanchen Geschosstypen
geht es aber überhaupt nicht.
Angelika Plümmer:
Mittlerweile gibt es schon
verschiedenen Lösungsmöglichkeiten.
Dr. Axel Viehweger:
Ja, aber dann muss man
mit Pumpen arbeiten und das kostet Strom und
Geld. Wir rechnen immer von hinten: Wie viel
Geld haben wir zur Verfügung und was können
wir dafür tun? Deswegen muss man immer genau
hinschauen. Wichtig, da unterstütze ich die Aus-
sage von Herrn Müller, ist auch die Schulung der
Handwerker. Denn kleine Genossenschaften mit
200 Wohnungen kennen gar keinen Architekten,
die kennen nur Handwerker. Deswegen lege ich
so viel Wert auf die Schulung und Weiterbildung
von Handwerkern. Allerdings ist das momentan
schwierig, weil die Handwerker eine so gute Auf-
tragslage haben, dass sie nicht bereit sind, sich
bei diesen Themen zu engagieren.
Ulrike Silberberg:
Aber Sie, Frau Plümmer, enga-
gieren sich mit Ihrem Studiengang sehr für diese
Themen.
Angelika Plümmer:
Dabei arbeiten wir auch
mit Elektroingenieuren und Produktdesignern
zusammen. Bei einer solchen interdisziplinären
Zusammenarbeit entstehen oftmals innovative
Ergebnisse. Ein Beispiel: Für ein nur 7,8m
2
großes
Bad ist ein Schienensystementwickelt worden, an
das man sowohl eineWickelkommode als auch alle
Badeaccessoires sowie im gegebenen Fall Stütz-
klappgriffe hängen kann. Ein solches System hat
den Vorteil, dass man nicht komplett umbauen
muss, wenn z. B. ein neuer Mieter einzieht.
Wir haben unseren Fokus darauf gerichtet, flexible
undmultifunktionale Systeme zu entwickeln. Das
können z. B. großformatigeWandverkleidungsmo-
dule sein, die je nach Bedarf ausgewechselt wer-
den können. Ein anderer Aspekt ist dieMöglichkeit
der Höhenverstellbarkeit von Gegenständen, die
sich den Anforderungen unterschiedlicher Nut-
zer anpassen können. Wir brauchen bediener- und
anwenderfreundliche Techniken, die Flexibilität
ermöglichen. Dabei ist auch die Industrie aufge-
fordert, wissenschaftliche Erkenntnisse umzuset-
zen. Unsere Pflegeexperten weisen zum Beispiel
darauf hin, dass Nutzer an manche Gegenstände
gar nicht herankommen oder sie nicht bedienen
können. Daran muss man weiter arbeiten.
Hans-JörgMüller:
Was Sie angesprochen haben,
ist sicher wichtig. Aber wir brauchen gar nicht so
weit nach vorne zu gucken. Von der Vermark-
tungsseite her ist oft der Fehler gemacht worden,
nur die großen, zusammenhängenden Systeme zu
kommunizieren. Dabei gibt es viele kleine Lösun-
gen. Wir sollten nicht immer auf die obersten 5%
der Hightech-Lösungen schauen.
ist Vorstand des
Verbands Sächsi-
scher Wohnungs-
genossenschaften
(VSWG) e. V.,
Dresden, der die
Interessen von
221 sächsischen
Wohnungsge-
nossenschaften
vertritt. Mit dem Projekt AlterLeben
untersucht der Verband, wie Wohnungen
gestaltet und ausgerüstet sein sollten.
DR. AXEL VIEHWEGER
„Ich glaube nicht, dass die Barrierefreiheit in den Köpfen fehlt.
Was fehlt, ist vielmehr das Geld. Wer kann sich denn eine barrierefreie
Wohnung leisten?”
Dr. Axel Viehweger
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NEUBAU UND SANIERUNG