Seite 15 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2014_08

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„Komfort für alle“ dafür steht, dass wir nicht nur
ein barrierefreies Bad für ältere Menschen oder
Menschen mit Einschränkungen planen, sondern
möglichst ein komfortables Bad für alle.
Wichtig ist für mich noch ein weiterer Begriff,
nämlich das lebenszyklische Planen: Wir entwi-
ckeln Systeme und Lösungen, die es Menschen
ermöglichen, lange selbstbestimmt in ihrer Woh-
nung bleiben zu können. Dabei spielt das Bad eine
wichtige Rolle. Denn imBadwird ggf. die Hilfebe-
dürftigkeit amehesten spürbar und deshalbmuss
es am flexibelsten und funktionstechnischsten
sein. Wir haben uns in diesemZusammenhangmit
einer Wohnungsbaugenossenschaft in Frankfurt
am Main zusammengetan und eine ganze Sied-
lung untersucht. Dabei wurde vieles hinterfragt,
z. B. ob das Schlafzimmer nur ein Schlafzimmer
sein muss oder ob die durch den barrierefreien
Badumbau fehlende Badewanne imSchlafzimmer
eingebaut werden kann. Diese sollte so gestaltet
sein, dass sie wahlweise auch als Liege oder Gäs-
tebett dienen kann. Wir haben uns also mit sehr
grundsätzlichen Fragen unkonventionell ausein-
andergesetzt.
Ulrike Silberberg:
Herr Tomahogh-Seeth, in Dor-
magen haben Sie Erfahrungen mit der schnellen
Sanierung von Badezimmern gemacht.
Axel Tomahogh-Seeth:
Als Wohnungsbaugenos-
senschaft versuchenwir immer, unsereMitglieder,
unsere Mieter von vornherein einzubinden und
ihre Belange zu berücksichtigen. Wenn wir eine
Modernisierung vornehmen, dannmachenwir das
i. d. R. nicht nur bezogen auf das Bad. Wir sanie-
ren also auch energetisch und kümmern uns um
Treppenhäuser und Außenanlagen, immer mit dem
Ziel, Barrierefreiheit oder zumindest Barrierear-
mut zu erreichen. Dabei stehenwir vor der Heraus-
forderung, dass wir einen großen Anteil an Woh-
nungen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren in
unseremBestand haben. Deshalbmüssenwir auch
die Haustechnik berücksichtigen. Wenn wir also
eine Badlösung auswählen, untersuchen wir, ob
siemit den vorhandenen Leitungen kompatibel ist.
Außerdem bemühen wir uns, sozial verträgliche
Lösungen zu finden. Eine Badmodernisierung ist
ja nicht gerade günstig undwir können nicht ohne
Weiteres die vollen Kosten nach den gesetzlichen
Möglichkeiten auf dieMiete umlegen. Deshalb su-
chen wir nach Möglichkeiten der Unterstützung
zum Beispiel durch KfW-Mittel.
Ulrike Silberberg:
Ihre Genossenschaft hat einen
Bestand von 2.500 Wohnungen. Wie viele Bäder
haben Sie bereits saniert?
Axel Tomahogh-Seeth:
Bisher haben wir knapp
80 Bäder saniert und wir haben noch einiges vor.
Dabei sanieren wir i. d. R. imbewohnten Zustand.
Wir streben an, dass die neuen Bäder barrierefrei
sind, berücksichtigen dabei aber dieWünsche un-
serer Mitglieder. In einigenwenigen Fällenwollten
die Mieter nicht zugunsten einer barrierefreien
Dusche auf ihre geliebte Badewanne verzichten.
Und die kriegten dann eine wunderbare Badewan-
ne. Eine Herausforderung ist allerdings, dass die
Bäder in den Wohnungen aus den Sechziger- und
Siebzigerjahren sehr klein sind. Was man in Bau-
märkten sieht, passt in aller Regel nicht in unse-
re Bäder. Da ist die Industrie gefordert, spezielle
Lösungen zu entwickeln. Wir haben zum Glück
ein Unternehmen gefunden, das sich intensiv mit
solchen Themen beschäftigt.
Ulrike Silberberg:
Das ist eine Steilvorlage für
Sie, Herr Müller. Sie engagieren sich sehr für das
Thema Universal Design und damit für die Ent-
stigmatisierung des barrierefreien Bades. Die
Firma Hewi, die Sie vertreten, hat u. a. mit dem
Lehrstuhl von Frau Plümmer zusammengearbeitet
und neue Produktsysteme entwickelt. Anwelchen
weiteren Produkten arbeiten Sie?
Hans-Jörg Müller:
Das Unternehmen Hewi be-
fasst sich seit den frühen 1980er Jahren mit dem
Thema Barrierefreiheit. Damals haben wir erste
barrierefreie Ausstattungen für Flughäfen, Züge
und andere große Objekte gemacht. In den letzten
Jahren habenwir uns dann stärker auf den Home-
Bereich konzentriert. Der Hauptgrund dafür ist
natürlich die demografische Entwicklung. Damit
ändert sich die Gesellschaft und damit ändern sich
auch die Bedürfnisse der Menschen. Das geht von
Personen mit kleinen Einschränkungen bis hin zu
Menschen, die auf komplett barrierefreieWohnun-
gen angewiesen sind. Wir müssen diesen ganzen
Bogen von komfortsteigernden bis hin zuwirklich
unterstützenden Maßnahmen im Auge behalten,
damit die Menschen möglichst lange in den eige-
nen vier Wänden bleiben können.
Umdas zu ermöglichen, arbeitenwir an Lösungen,
die völlig anders sind als im Objektbereich. Denn
die Lösungen aus demObjektbereich sind für den
Home-Bereich überdimensioniert und nicht flexi-
bel genug. Wir gehen von einemDurchschnittsbad
von 8 m
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aus. Die Tanzsäle mit Blick auf den Bo-
densee, die man in vielen Badprospekten sieht,
gibt es in Wirklichkeit nämlich nicht so häufig.
Wir müssen uns mit dem Bauen im Bestand be-
schäftigen und damit, wie wir möglichst einfach
einzelne Elemente austauschen und unterstüt-
zendeMaßnahmen umsetzen können. Dabei muss
es nicht immer eine Grundsanierung sein. Häufig
benötigenMenschen ja von heute auf morgen un-
terstützende Funktionen. Diese müssen eine ent-
sprechende Dimensionierung und einen entspre-
chenden Preis haben. Vor zwei, drei Jahren haben
wir angefangen, solche Produkte zu konzipieren,
und für die nächste große Sanitärmesse, die ISH
2015, haben wir ein komplettes neues System in
der Pipeline. Das ist unser Antrieb: Barrierefreiheit
auf einem wirklich hohen Design- und Qualitäts-
niveau zu implementieren. Dabei bieten wir
ist Architektin und
Lehrbeauftragte
an der Fachhoch-
schule Frankfurt
am Main – Frank-
furt University of
Applied Sciences.
Dort unterrichtet
sie im Interdiszi-
plinären Master-
studiengang Barrierefreie Systeme, BaSys
- Planen und Bauen.
ANGELIKA PLÜMMER
ist Leiter Marke-
ting und Innovati-
on der Hewi Hein-
rich Wilke GmbH,
Bad Arolsen. Das
1929 gegründete
Unternehmen
hat rund 600
Mitarbeiter und
ist Marktführer im
Bereich barrierefreier Sanitärsysteme.
HANS-JÖRG MÜLLER
„Ich wünsche mir, dass Barrierearmut, -freiheit in unserer gebauten
Umwelt selbstverständlich wird. Und dabei meine ich nicht nur die
Barrierefreiheit nach DIN.”
Angelika Plümmer
„Es geht um Design for all, um
Universal Design. Ich finde nichts
schlimmer, als jemandem mit der
Ausstattung seine Einschränkungen
vor Augen zu führen.”
Hans-Jörg Müller
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