Seite 18 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2014_08

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Müller ganz richtig gesagt. Das bedeutet auch:
Genossenschaften, die früh reagiert haben, haben
einenWettbewerbsvorteil, weil die Interessenten
sagen: Dieses Bad ist ja toll!
Angelika Plümmer:
Ich halte es für eine gesell-
schaftspolitische Entscheidung, Barrierefreiheit
möglichst durchgängig zu berücksichtigen. Wir
haben uns entschieden, die Inklusion in unserer
Gesellschaft zu fördern und umzusetzen. Immer
noch gibt es viele Barrieren, auch in den Köpfen.
Ich finde, wir stehen noch am Anfang. Es geht bei
diesem Thema ja nicht nur um das Bad und um
die Wohnung, sondern auch um eine lebenswer-
te Umwelt, die die Zugänglichkeit und Teilhabe
möglichst aller berücksichtigt.
Dr. Axel Viehweger:
Ich widerspreche Ihnen.
Ich glaube nicht, dass die Barrierefreiheit in den
Köpfen fehlt. Was fehlt, ist vielmehr das Geld.
Wer kann sich denn eine barrierefreie Wohnung
leisten? In Sachsen wollen die Behindertenver-
bände durchsetzen, dass bei Neubauten 10 %
rollstuhlgerechteWohnungen entstehenmüssen.
Aber kein einziger Rollstuhlfahrer in Sachsen kann
sich eine derartige Wohnung für 10 € kalt leisten.
Die meisten sind ja auf die Kosten der Unterkunft
angewiesen. Manche unserer Genossenschaften
haben deshalb in den letzten Jahren derartige
Wohnungen wieder zurückgebaut, weil sie nicht
vermietbar waren. Das hat nichts mit Barrieren
in den Köpfen zu tun, sondern damit, dass sich
niemand solche Wohnungen leisten kann. Wir
müssen ja beachten, dass wir beim Thema Barri-
erefreiheit nicht nur über das Bad reden, sondern
über dieWohnung insgesamt. Und das kostet eben
einfach Geld.
Hans-JörgMüller:
Ich halte es nicht für sinnvoll,
deswegen nach dem Staat zu rufen. Es muss auch
nicht immer die perfekte Barrierefreiheit sein.
Das Ziel muss sein, schrittweise zu einem barri-
erefreieren Umwelt zu kommen. Wir können ja
nicht einfach den Hebel umlegen und wir werden
auch nicht 20 Mrd. € vom Staat bekommen. Aber
wir haben schon große Fortschritte gemacht. Die
Anfragen, die wir heute bekommen, haben ein
ganz anderes Niveau als vor zehn Jahren. Da-
bei geht es nicht darum, das Bad zur Wellnes-
soase zu machen, wie es uns die Werbung und
die Sanitärindustrie vorspiegeln. Diese ganze
Wellness-Ideologie halte ich für Schwachsinn,
die sehe ich vielleicht bei meinen Sommerurlaub,
aber ganz sicher nicht im Bad. Das Bad ist ein
Funktionsraum, und wenn es diese Funktionen
so gut wie möglich abbildet, dann sind wir schon
einen Riesenschritt weiter. Ein Bad muss einfach
hochfunktional sein und darf dabei natürlich auch
schön aussehen.
Ulrike Silberberg:
Zur Abschlussrunde: Jeder
von Ihnen hat einen Wunsch frei – an die Politik
in Brüssel, in Berlin, in Ihrem Bundesland oder an
die Industrie.
Dr. Axel Viehweger:
Es gilt das Motto „ambu-
lant vor stationär“. Wenn wir das ernst nehmen,
müssen wir die Geldströme von den Pflegehei-
men in die Wohnungen lenken. Ich wünsche mir
eine Neuordnung der Geldströme, damit die
Wohnungswirtschaft in die Lage versetzt wird,
die Wohnungen so umzubauen, dass die Losung
„ambulant vor stationär“ bis zu Pflegestufe III dort
realisiert werden kann.
Hans-JörgMüller:
Ichwünschemir, dass sich die
Installateure noch intensiver mit demThema Bar-
rierearmut auseinandersetzen. Denn noch einmal:
Viele kleine Lösungen verbessern das Leben und
sorgen dafür, dass die Menschen länger zu Hause
bleiben können. Noch haben sich im Installations-
bereich erst wenige Firmen wirklich damit ausei-
nandergesetzt. Ich betrachte es als eine unserer
Aufgaben, dies zu ändern, da ja die Installateure
unsere direkten Partner sind.
Axel Tomahogh-Seeth:
Ich habe zwei Wünsche.
Erstens wünsche ichmir, dass die Architekten und
Designer kostengünstige, gute, pragmatische
Lösungen entwickeln. Zweitens wünsche ich mir,
dass wir wegkommen von der Objektförderung
und hin zur Subjektförderung gelangen. Dann
kann jeder Mieter zu bezahlbaren Konditionen in
seiner Wohnung bleiben.
Angelika Plümmer:
Ichwünschemir, dass Barrie-
rearmut und -freiheit in unserer gebauten Umwelt
selbstverständlich werden. Und dabei meine ich
nicht nur die Barrierefreiheit nach DIN. Nein, es
steckt viel mehr dahinter. Es gilt, die verschiede-
nen Bedürfnisse von Menschen in unterschiedli-
chen Lebenszyklen bei der Gestaltung der Umwelt
zu berücksichtigen. Der Studiengang BaSys leistet
dazu schon seinen Beitrag.
Ulrike Silberberg:
Meine persönliche Einschät-
zung ist, dass die Runde das Image der Barriere-
freiheit positiver bewertet als die Bevölkerung.
Es gibt funktionale und schöne Lösungen, es
muss keine Stigmatisierung mehr geben. In die-
sem Sinne: Ganz herzlichen Dank für Ihre Betei-
ligung an dieser Diskussionsrunde und viel Erfolg
für Ihre Aufgaben und Lösungen.
Kleine Genossenschaften mit 200 Wohnungen kennen gar keinen
Architekten, die kennen nur Handwerker. Deswegen lege ich so viel Wert
auf die Schulung und Weiterbildung von Handwerkern.
Dr. Axel Viehweger
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NEUBAU UND SANIERUNG