Seite 11 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2014_08

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Hansing von der Koordinierungsstelle der Repair
Cafés in Deutschland. „Bemerkenswert ist, dass
sich sowohl private Initiativen wie auch größere
Träger des Themas annehmen, da erkannt wird,
dass hier der strapazierte Begriff Nachhaltigkeit
auf einmal ein sehr alltagspraktisches Gesicht be-
kommt“, so Hansing.
Die Initiative setzt auf das Ehrenamt
2013 starteten zwei Hamburgerinnen, Christin
Stöckmann und Kristina Deselaers, das Repair Café
Sasel. Alle zwei Monate machten hier im Kultur-
zentrum ehrenamtliche Reparaturfachleute mit
Besuchern gemeinsam ihre kaputten Dinge wieder
flott – ob Kleidung, Möbel, Fahrräder, Gartengerä-
te, elektrische Haushalts-, HiFi- und Multimedia-
Geräte. Mittlerweile veranstalten die beiden mit
ihrem Team jeden Monat ein Repair Café an zwei
Standorten im Hamburger Norden.
Geholfenwird denjenigen, die Gegenstände wegen
einer kleinen Macke nicht wegwerfen möchten,
nur weil die Reparatur zu teuer ist, oder Menschen,
die an Lieblingsgegenständen hängen und dafür
keinen Reparaturservicemehr finden. „Reparieren
statt Wegwerfen hilft Müll zu vermeiden, schont
Ressourcen und spart Energie. Handwerkliches
Know-how und der Umgang mit ursprünglich
wertvollen Gütern bekommt mehr Achtung und
wird damit aufgewertet“, nennt Kristina Dese
laers einen weiteren wichtigen Aspekt. „Häufig
sind die wenigen Menschen, die noch wissen, wie
man repariert, älter und aus dem Berufsleben
ausgeschieden, einige stehen eher am Rand der
Gesellschaft. Das Konzept Repair Café aktiviert
dieses Potenzial“, sagt Deselaers.
Gleichzeitigwird die Stadtteilkultur gestärkt. Re-
pair Cafés entwickeln sich schnell zu einer Art An-
laufstelle imKiez. „Alt und Jung, Menschen unter-
schiedlicher sozialer Herkunft und Kultur finden
zusammen“, weiß Deselaers. Denn zumReparieren
gibt es gespendeten Kaffee und Kuchen und viel
Klönschnack. „Hier spricht jeder mit jedem und
wer gerade nichts zu tun hat, schaut anderen über
die Schulter, gibt Tipps und lernt dabei.”
Für Wohnungsunternehmen ist die Stärkung von
funktionierenden Nachbarschaften ein wichtiges
Anliegen, wissen sie doch um die Bedeutung für
die soziale Stabilität der Quartiere. „Dazu gehören
Treffpunkte im engeren Wohnumfeld, die über-
haupt erst wieder Kommunikation unter denMen-
schen ermöglichen. Das, was früher beim Kauf-
mann um die Ecke quasi beiläufig geschah, muss
heute erst mühsam wieder aufgebaut werden“,
bestätigt Dr. Constantin Westphal, Geschäfts-
führer der Unternehmensgruppe Nassauische
Heimstätte/Wohnstadt. Kein Wunder, dass sich
Wohnungsunternehmen für die Integration des
Repair-Café-Konzeptes interessieren. „Wir be-
kommen viele Anfragen“, sagt Tom Hansing. In
Berlin sei die Berliner Baugenossenschaft eG (bbg)
bereits gestartet, mit anderen Wohnungsunter-
nehmen liefen positive Gespräche, erklärt Stefan
Schridde, Vorstand der Bürgerschaftsinitiative
„Murks? Nein danke! e. V.“, die sich für die über-
regionale Vernetzung der Repair Cafés einsetzt.
„Wenn der Vermieter die Initiative anstößt, sind
die Hemmschwellen noch geringer, der langfristi-
ge Erfolg programmiert“, weiß Schridde.
BVE in Hamburg sucht Reparaturexperten
Auch die Bauverein der Elbgemeinden eG (BVE)
in Hamburg will ein eigenes Repair Café in einem
ihrer Nachbarschaftstreffs gründen und sucht
Experten aus den Bereichen Elektro, Elektronik,
Fahrrad und Nähen, um genossenschaftliche Hil-
fe unter Nachbarn zu praktizieren. „Wegschmei-
ßen und immer alles neu kaufen kann keine
Antwort auf Zukunftsfragen sein“, sagt Peter
Finke vom BVE. Schon seit längerer Zeit gebe
es eine Gegenbewegung. „Wir wissen, dass es
unter unseren Mitgliedern Experten gibt, die
noch wissen, wie man repariert und flickt. Die
wollen wir aktivieren.”
Christin Stöckmann und Kristina Deselaers haben
seit August 2013 sechsmal Repair Cafés veran-
staltet. Rund 1.500 Menschen haben die Treffen
besucht. 70 ehrenamtliche Helfer und Helferinnen
waren imEinsatz, viele von ihnen sind bei mehre-
ren, manche sogar bei allen Veranstaltungen da-
bei. Der Andrang ist so groß, dass das Angebot er-
weitert wird, in Hamburgwird es dann drei Repair
Cafés geben, die die Nachfrage bedienen sollen.
Das gesamte Projekt wird derzeit ausschließlich
über Spenden finanziert, alle Organisatoren und
„Reparateure“ arbeiten ehrenamtlich. Kristina
Deselaers möchte weitere Initiativen voranbrin-
gen, berät Cafés in Gründung, macht Informa-
tionsveranstaltungen und Workshops. Ideen für
die Umsetzung von Repair Cafés an Hamburger
Schulen sind in der Entwicklung.
Jüngst ist die Initiative politisch geadelt worden:
„Europamuss sich aktiv dafür einsetzen, Reparieren
als eineAlternative zumWegwerfen und neuKaufen
zu promoten“, sagte die deutsche Umweltminis-
terin Barbara Hendricks im April auf dem Europäi-
schen Forumfür Öko-Innovation inHannover. In ih-
rer Eröffnungsrede nannte dieMinisterin das Repair
Café als ein Beispiel dessen, was Europa braucht,
um zu einer Kreislaufwirtschaft zu gelangen.
OFFENE WERKSTÄTTEN, REPARATURTREFFS, REPAIR CAFÉS
Seit Januar 2014 hat die Stiftung Anstiftung & Ertomis die Vernetzung der deutschen
Repair-Initiativen übernommen. Hier bekommen Interessenten Informationen und
Anleitungen für die Organisation von Repair Cafés. Die Stiftungsgemeinschaft, die sich
auch die Erforschung der Voraussetzung für nachhaltige Lebensstile auf die Fahnen
geschrieben hat, fördert bereits seit Jahren offene Werkstätten in Reparaturtreffs.
Weitere Informationen:
d
Reparaturszene aus einem Hamburger Repair Café
Quelle: Johannes Arlt
9
8|2014