Seite 54 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2013_06

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tische Dimension der Energiewende hingewiesen.
Ich glaube, dass das ein sehr wichtiger Punkt ist.
Vor dem Hintergrund der Einkommensentwick-
lung unserer Bevölkerung, in der es immer mehr
Rentner mit niedrigem Einkommen gibt, sieht
sich nicht nur die Wohnungswirtschaft, sondern
auch die ganze Gesellschaft einer sozialpoliti-
schen Diskussion ausgesetzt, deren Dimension
noch gar nicht richtig erkannt ist. Das zeigt sich
zum Beispiel daran, dass die Bundesregierung
beim Wohngeld die Heizkostenkomponente er-
satzlos gestrichen hat und imÜbrigen die Kosten
für Unterkunft und Verpflegung der normalen
Preisentwicklung nicht anpasst. Ich fürchte des-
halb, dass die Wohnungsunternehmen die Inves-
titionen, die ihnen vom Gesetzgeber auferlegt
werden, gar nicht mehr verantwortbar tätigen
können, weil diese Investitionen viele Mieter
finanziell überfordern.
Lukas Siebenkotten:
In diesem Zusammenhang
muss ich ein Lob an die Wohnungswirtschaft
loswerden. Es ist gut und sinnvoll, dass die Woh-
nungswirtschaft sich Gedanken darüber macht,
wie sie dazu beitragen kann, dass Energieeffizienz
und sozialpolitische Verantwortung keinenWider-
spruch darstellen.
Jürgen Steinert:
Welche Rolle spielt bei unse-
rem Thema eigentlich das Verbrauchsverhalten
der Mieter? Und welche Möglichkeiten haben wir,
darauf Einfluss zu nehmen?
Feldversuche haben ja angeblich oder tatsäch-
lich nachgewiesen, dass das Sparpotenzial, das
im Verbrauchsverhalten liegt, zwischen 18 und
25%betragen könnte. Dabei ist zu bedenken, dass
viele unserer Kollegen in den Unternehmen noch
immer eine technologische Ausstattung auf Ebene
der Verdunsterröhrchen haben. Dort wird der Ver-
brauch einmal jährlich abgelesen, was bedeutet,
dass die Transparenz fehlt, die nötig ist, um die
Mieter zu einer Verhaltensänderung zu motivie-
ren. Sehen SieMöglichkeiten, das Verbrauchsver-
halten zu beeinflussen?
Thomas Dilger:
Ja, diese Möglichkeiten gibt es.
Genau deshalb beteiligen wir uns auch an vier
Standorten in Hessen (Kassel, Fulda, Frankfurt
und Darmstadt) amProgrammder energetischen
Stadtsanierung. Dort werden dieMieter geschult,
wie sie ihren Energieverbrauch reduzieren kön-
nen. Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze: In
Darmstadt wird mit Apps und anderen modernen
Medien gearbeitet, woanders geht manmehr von
Haus zu Haus.
Thomas Kleindienst:
Natürlich kann man den
Leuten beibringen, dass ein bestimmtes Verhal-
ten den Verbrauch reduziert. Das steht ja mitt-
lerweile in jeder Zeitschrift,
die die Mieter im Wartezim-
mer des Arztes lesen. Wir bie-
ten unseren Mitgliedern auch
eine Betriebskostenberatung an. Dabei wenden
wir uns an diejenigen, die auffällig hohe Betriebs-
kosten haben. Bei den allermeisten Mietern aber
handelt es sich lediglich um Abweichungen von
plus oder minus 5%. Soll ich jetzt mit denen in
Klausur gehen und ihnen erzählen, dass sie noch
eine weitere Energiesparlampe verwenden sollen?
Wir informieren schon regelmäßig (Flyer, Mitglie-
dermagazin, Betriebskostenabrechnung etc.).
Wir haben zusätzlich an jedem unserer Häuser im
Eingangsbereich eine Plexiglastafel angebracht,
wo der Energieausweis mit dem farbigen Balken
aushängt. Nur interessiert dieser Energieausweis
niemanden. Kein Mietinteressent fragt als Erstes
nach dem Energieausweis. Der guckt sich an, ob
die Wohnung einen Balkon hat und wie die Küche
aussieht, und am Ende des Tages fragt er noch,
wie hoch die Betriebskosten sind.
Frank Bielka:
Ich kann das nur bestätigen. Der
Energieausweis spielt in der Vermietung eine Rolle
von knapp über null. Es gibt vereinzelt Jüngere, die
danach fragen, aber sonst interessiert das keinen
Menschen. Und auch Systeme, die den Verbrauch
differenzierter messen, treffen nicht wirklich auf
Interesse. Das wundert mich eigentlich auch nicht,
weil bei vielen Familien die Handyrechnung mitt-
lerweile höher ist als die Energierechnung.
Lukas Siebenkotten:
Auchmein Eindruck ist, dass
der Energieausweis bisher in keiner Weise das ge-
halten hat, was sich die Politik davon versprochen
hat. Ich glaube allerdings auch, dass man das Be-
wusstsein dafür, dass ein Mieter zu viel Energie
verbraucht, nur dann wecken kann, wenn er ir-
gendeine Formvon iterativer Information darüber
kriegt. Einmal im Jahr die Rechnung zu schicken,
ist zu wenig. Die Ablesefirmen sprechen ja immer
davon, dass man durch Verhaltensänderungen ein
erhebliches Einsparpotenzial aktivieren kann.
Deshalb sollte man den Menschen zumindest das
Angebot machen, sich darüber besser informieren
zu lassen. Wobei es ja auch das andere Extremgibt.
Insbesondere bei älteren Herrschaften passiert es,
dass sie, um Energie zu sparen, nicht einmal auf
18°C heizen, und sich dann wundern, wenn es in
der Wohnung schimmelt.
Thomas Kleindienst:
Weil vorhin die Sozial-
politik angesprochen wurde: Wir als Geschäfts-
führung haben ja auch eine soziale Verantwor-
tung. Und genau deswegen arbeiten wir nicht
mit funkablesbaren Heizkostenmessgeräten,
sondern mit elektronischen. Warum? Aus Sozi-
alkompetenz und Fürsorge für unsere Mitglieder.
Darunter sind alte Leute, die allein wohnen, und
der Hausmeister schafft es nicht, einmal im Jahr
in jede Wohnung zu gehen, einmal abgesehen
davon, dass sie ihn gar nicht reinlassen würden.
Aber den Ableser lassen sie einmal im Jahr in die
Wohnung. Und wir haben mit den Firmen, die bei
uns die Ablesung machen, die Vereinbarung ge-
troffen, dass sie uns melden, wenn eine Wohnung
vermüllt oder völlig vernachlässigt ist. Wir tun
das aus Fürsorge für unsere Mitglieder. Und das
„Ich bin skeptisch, was die Energieerzeugung durch
Wohnungsunternehmen betrifft.“
Prof. Dr. Herbert Ludl
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ENERGIE UND TECHNIK