Sie wollen die voneinander unabhängigen
Förderprogramme im Quartier bündeln und
dazu die Förderlogik der jeweiligen Instru-
mente aufbrechen – zumindest wenn Sie die
Gestaltung von Wohnquartieren betreffen.
Alle relevanten Förderungen müssen der
Prozesslogik der Erneuerung des Wohnquar-
tiers folgen. Wie darf ich mir das konkret
vorstellen?
Es ist meines Erachtens nicht ganz richtig, alle
Förderprogramme als unabhängig voneinander
zu bezeichnen. Die Städtebauförderung hat seit
Mitte der 1990er Jahre in NRW den Raumbezug
(Stadtteil) zur Grundlage integrierter Mehrziel-
projekte gemacht; mit den Programmen Soziale
Stadt, Stadtumbau West und Aktive Stadt- und
Ortsteilzentren gibt es auch in Gelsenkirchen sehr
gute Erfahrungen. Im Stadterneuerungsgebiet
Tossehof konnten wir von einer sehr guten Kom-
bination aus Wohnungs- und Städtebauförderung
profitieren.
Allerdings ist die Flexibilität im Mitteleinsatz
in der Städtebauförderung besonders groß. Die
Problemlage des Stadtteils bzw. des Quartiers
bestimmt Art und Umfang des Instrumentenein-
satzes. Die klassischen ressortbezogenen Politiken
orientieren sich tendenziell eher an quantitativen
Standards. Die Wohnungsbauförderung bezieht
sich auf das einzelne Objekt (Gebäude). Für das
Problem der schrumpfenden Stadtteile mit ho-
hen Wohnungsleerständen gibt es bislang noch
kein wirklich überzeugendes Förderinstrument
für Wohnungswirtschaft und Einzeleigentümer.
Ein Gebietsfonds der z. B. einer kommunalen
Gesellschaft den Erwerb einer Reihe besonders
stark vernachlässigter Immobilien ermöglicht,
um durch gezielte Interventionen ein Quartier zu
stabilisieren, kann in Verbindungmit demEinsatz
von Instrumenten der Stadtsanierung ein Ansatz-
punkt sein. Dass der sozialen und der Bildungs-
infrastruktur hohe Bedeutung für eine solche
Stabilisierungsstrategie zukommen, erschließt
sich angesichts der in den vergangenen Jahren
verstärkten sozialen Segregation in den meisten
deutschen Großstädten.
Soll es dann nur noch einen Topf
„Wohnquartierförderung“ geben?
Die Frage richtet sich natürlich an den Förderge-
ber. Die Aufgaben für Stadtentwicklung, Stadter-
neuerung und Quartiersentwicklung unterschei-
den sich in verschiedenen Teilräumen des Landes
inzwischen erheblich. ImKern kommt es darauf an,
für die jeweiligen Probleme angemessene Strate-
gien und Instrumente zu entwickeln.
Wie definieren Sie denn den Begriff
„Wohnquartier“?
Gegenstand der Quartiersbetrachtung ist nicht
unbedingt das Wohnquartier, der Begriff Stadt-
quartier ist mir lieber, weil er auch andere städ-
tische Funktionen mit einschließt. Wir haben der
Abgrenzung von Quartieren, diemeines Erachtens
Interventionen der Stadt erfordern, die Analyse
von baulichen und sozialstatistischen Daten auf
der Ebene der Baublockseite zugrunde gelegt.
Dabei werden nicht nur die Problemfelder in den
Fokus genommen, sondern verstärkt auch die
Potenziale, die sich im Gebiet abzeichnen. Dies
können vorhandene starke Initiativen, zu entwi-
ckelnde Brachflächen oder engagierte Projektträ-
ger und Partner sein.
Daher gilt es, die Stadtquartiere nicht zu klein zu
wählen. Zusammen mit einer typologischen Be-
trachtung und der Auswertung des Erfahrungswis-
sens von Schlüsselpersonen vor Ort (Schulleiter,
Pfarrer, Vertreter vonWohnungsunternehmen und
Finanzinstituten, Bewohner etc.) lassen sich recht
gut Sozialräume abgrenzen, die sich voneinander
unterscheiden.
Weshalb ist das Wohnquartier
für die Stadtentwicklung so wichtig?
Die Lebensqualität und Funktionsfähigkeit des
Stadtquartiers ist die wesentliche Grundlage für
die individuellen Entscheidungen von Bewohnern,
Eigentümern und Investoren. Das gilt imPositiven
wie im Negativen. Letztlich sind Gentrifizierung
einerseits und Entwertungsspiralen andererseits
zwei Erscheinungsformen derselben Logik.
Lebensqualität und Funktionsfähigkeit eines Stadtquartiers sind eine wesentliche Grundlage für die
Entscheidungen von Bewohnern, Eigentümern und Investoren. Das gilt im Positiven wie im Negativen.
Michael von der Mühlen, Stadtdirektor von Gelsenkirchen, wirbt in diesem Interview für einen
neuen Quartiersförderansatz.
Quelle: Stadt Gelsenkirchen
Interview mit Michael von der Mühlen
„Ressortübergreifende
Zusammenarbeit ist in keiner
Institution ein Selbstläufer!“
STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
12
4|2013