Seite 13 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2013_04

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in das Programm Soziale Stadt aufgenommen.
Verschärft wird die Situation dadurch, dass die
Kommunalaufsichten finanziell klammen Kom-
munen solche „freiwilligen” Aufgaben zunehmend
untersagen. Sehenden Auges werden so soziale
Abwärtsspiralen organisiert.
von Lojewski:
Nicht nur die geringe Mittelaus-
stattung stellt ein Problem für die Beteiligten
dar, sondern auch die Unsicherheit der Mittel-
verfügbarkeit. Zu kritisieren ist hierbei insbe-
sondere die Vorgehensweise. Die in Aussicht
gestellten Mittel von 50 Mio. € für das Jahr
2013, wurden in einer Sitzung des Haushalts-
ausschusses ohne Vorankündigung um 10 Mio. €
gekürzt. Die Schwankungen der Förderhöhe und
die Unsicherheiten mit Blick auf die zukünftige
Verfügbarkeit sind eine offensichtliche Missach-
tung der bisherigen Erfolge...
... also ein desparates Zeichen für die Men-
schen in den Quartieren und die engagierten
Akteure?
von Lojewski:
Das Signal aus der Politik ist in
höchstemMaße kontraproduktiv und hochgradig
demotivierend. Eine sinnvolle Umsetzung der
Förderinhalte kann oftmals nur mit viel Phanta-
sie und extrem hohem Engagement von Einzel-
personen aufrecht erhaltenwerden. Beides gilt
es zu bewahren. Das ist unter den gegebenen
Förderbedingungen noch schwieriger gewor-
den. Erfolge und Leistungen, die erzielt wurden,
werden in keiner Weise bei der Mittelvergabe
berücksichtigt. Es wurde bei denen, die eine
Unterstützung am nötigsten haben, gekürzt.
Und dies bezieht sich nicht nur auf die Bevöl-
kerungsgruppen, sondern auch auf die Städte.
Der aktuelle Gemeindefinanzbericht weist nach,
dass aus den städtischen Investitionshaushalten
mittlerweile Sozialhaushalte geworden sind. Die
Finanzierung der finanziell und mitunter auch
sozial Schwachen ist langfristig kosteninten-
siver, als eine faire Chance zur Teilhabe zu er-
möglichen.
Gedaschko:
Das sehe ich genauso: Die Entschei-
dungen der Haushaltspolitiker sind unverständ-
lich, weil die Folgen einer Kürzung des Programms
Soziale Stadt in den nächsten Jahren mit viel
höheren Kosten an anderer Stelle wieder aufge-
fangen werden müssen. So kann ein nachhaltiger
Verschuldungsabbau nicht funktionieren. UmMut
zu machen, wendet sich das „Bündnis für eine So-
ziale Stadt” an die vielen Engagierten vor Ort: Mit
vielfältigen Initiativen muss deutlich gemacht
werden, dass die Zivilgesellschaft die Vernach-
lässigung des sozialen Zusammenhalts und die
Gefährdung des sozialen Friedens in den Stadt-
quartieren nicht widerspruchslos hinnimmt.
Abgesehen von der finanziellen Ausstattung
des Programms, gibt es etwas, womit Sie
zufrieden sind? Wird das Programm dem
integrierten Ansatz gerecht?
Gedaschko:
Energiewende und klimagerechter
Stadtumbau können nur dann sozialverträglich
gestaltet und ganze Stadtquartiere nur dann ener-
getisch saniert werden, wenn die dort lebenden
Menschen beteiligt werden und sie die Erneuerung
tatkräftig unterstützen. Für die Motivation der
Menschen und lokalen Initiativen zumMitmachen
ist das Programm Soziale Stadt wie kein anderes
geeignet und notwendig – es ist die Verknüpfungs-
stelle von den Menschen zu den verschiedenen
Fachpolitiken, die von den verschiedenen Verwal-
tungsebenen zunehmend für abgestimmtes, inte-
griertes Handeln genutzt wurde. In dieser Hinsicht
sind in den letzten 10 Jahren Fortschritte erzielt
worden, die es auszubauen gilt.
von Lojewski:
Das Programmbietet einen idealen
Ansatz zur integrierten Stadtentwicklung, da alle
Aspekte Eingang finden, nicht nur die unzweifel-
haft wichtigen sozialen Themen. Es ermöglicht
den Beteiligten, fach- und themenübergreifende
Zusammenarbeit mit Blick auf eine nachhaltige
Lösung voranzubringen, ohne das sonst übliche
Ressort- und Spartendenken. Insgesamt wurde
das Thema der integrierten Stadtentwicklung
gut innerhalb der Stadtverwaltungen und der
Öffentlichkeit transportiert. Dennoch bedarf es
einer Verstetigung.
Was fordern Sie von der Politik? Wie sollte
das Programm weiterentwickelt werden?
von Lojewski:
Der Mittelbedarf für die soziale
Integration insgesamt fordert eine Konzentration
der Mittel und der Anstrengungen aller Träger,
um die gesellschaftlichen und faktischen Kosten
mangelhafter Integration in den Griff zu bekom-
men.
Hierbei kommt den Mitteln für die Soziale Stadt
als konzeptioneller Anker für die Stabilisierung
und Aufwertung von Quartieren auch in Zukunft
besondere Bedeutung zu. Bund und Länder müs-
sen der Versäulung ihrer Fachpolitiken wirksam
entgegenwirken, den Anspruch an eine integrier-
te nationale Stadtentwicklungs-, Klimaschutz-,
Energie und Mobilitätspolitik einlösen und ho-
rizontal wie vertikal kohärente Strategien und
Instrumente zur (städtischen) Nachhaltigkeit
liefern. Dafür ist fraglos ein dreistelliger Millio-
nenbetrag an Förderinstrumenten gerechtfertigt
und erforderlich.
Gedaschko:
Das Programmmuss auch in Zukunft
ein zentrales Instrument der Städtebauförderung
bleiben, das die Initiativen zahlreicher Akteure bei
der sozialen Stabilisierung benachteiligter Quar-
tiere wirksam unterstützt.
Unser vor zwei Jahren aus Protest gegen die
Mittelkürzungen gegründetes „Bündnis für eine
Soziale Stadt” fordert die Politik dazu auf, das
Programm Soziale Stadt wieder mit einer den
Problemen entsprechenden Mittelausstattung,
mindestens jedoch auf dem Niveau des Jahres
2010 (95 Mio. €), fortzuführen. Verstärkt wer-
den kann der integrierte Ansatz des Programms,
indem z. B. die für Wirtschaft oder Klimaschutz
zuständigen Ressorts noch stärker als bisher ein-
gebunden werden.
Vom Tisch muss die Einschränkung bei der Finan-
zierung vermeintlich nichtinvestiver Maßnahmen,
das ist ein unverständlicher Rückfall in altes Be-
ton-Denken.
Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Olaf Berger.
Quelle: Deutscher Städtetag
Hilmar von Lojewski
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