Seite 10 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2013_04

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Warum engagieren sich Wohnungsunternehmen im sozialen Bereich und
warum initiieren sie Projekte, die außerhalb ihres übliches Geschäfts-
felds liegen? Degewo-Vorstandsmitglied Frank Bielka macht deutlich,
dass es um weit mehr geht, als um Anlässe für schöne Pressefotos.
Quelle: degewo
in Berlin, darunter sind überdurchschnittlich viele
junge Mütter unter 25 Jahren. Ihnen fehlt oft ein
Schulabschluss oder eine Ausbildung, ein Großteil
lebt von Hartz IV. Erklärtes Ziel des Projekts ist es,
die jungen Menschen auf eigene Füße zu stellen,
sie von Transferleistungsempfängern zu sozialver-
sicherungspflichtigen Erwerbstätigen quasi „um-
zuschulen“ – ein anspruchsvolles Anliegen. Bielka
erklärt das so: „Wir wollen den Alleinerziehenden
helfen, Wohnung, Ausbildung oder Arbeit und
Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen.
Mit dieser Stabilität im Rücken soll es den jungen
Müttern und Vätern zusammen mit ihren Kindern
mittelfristigmöglichwerden, ein selbstständiges,
eigenverantwortliches Leben zu führen.“
Das Berliner Wohnungsunternehmen gab den An-
stoß, stellte die Wohnungen zur Verfügung und
brachte alle Akteure an einem Tisch zusammen.
Der Senat fördert Jule über das Programm „Akti-
onsräume plus“. Das Projekt ist zunächst auf drei
Jahre angelegt. 43 jungeMütter und Väter bewer-
ben sich aktuell umeinen Platz. Vier der 15 Plätze
sind zurzeit noch frei, zwei Bewerber stehen kurz
vor der Aufnahme in das Projekt.
Gemeinsamwollen die Protagonistenmit Jule den
jungenMüttern und Vätern echte Lebensperspek-
tiven eröffnen. „Neben der Tatsache, dass wir eine
Wohnung zu Verfügung stellen, unterstützen wir
alle bei der Betreuung der Kinder durch Kita-Plät-
ze, beim Schulabschluss und bei der Suche nach
einemJob“, erklärt Stefan Komoß, Bezirksbürger-
meister vonMarzahn-Hellersdorf, die umfassende
Hilfe auch des Bezirks selbst.
Jule: nicht ohne Pflichten
Allerdings ist die Teilnahme auch mit Pflichten
verbunden, betont Astrid Egel, Projektleiterin
vom sozialen Träger Kinderring Berlin e. V., mit
Die degewo ist für ihr soziales Engagement
in Berlin bekannt. Was hat das Unternehmen
bewogen, sich in Marzahn für alleinerzie-
hende Eltern einzusetzen?
44% aller Kinder inMarzahn-Hellersdorf wachsen
mit nur einem Elternteil auf. Viele dieser Eltern
haben keinen Schulabschluss oder keine Ausbil-
dung. Als kommunales Wohnungsunternehmen
mit 18.000Wohnungen in demBezirk wollenwir
dieser Notlage nicht gleichgültig gegenüberste-
hen. So kamuns die Idee, jungen Alleinerziehen-
den mit diesem Projekt eine Perspektive für ihre
Zukunft zu bieten.
Sie tun hier in Marzahn erheblich mehr, als
sie tun müssten. Wie bekommt man die un-
terschiedlichen Akteure an einen Tisch und
begeistert diese von der Idee?
Sie brauchen vor allem Überzeugungskraft und
einen langen Atem. Unzählige Gespräche und
Treffen in einer gemeinsamen Steuerungsgrup-
pe aller Beteiligten gingen dem Projektstart im
vergangenen Jahr voraus.
Jeder der Partner hat sich verpflichtet, einen
klar definierten Beitrag zu leisten. Das ist ganz
entscheidend für das Funktionieren dieses Pro-
jekts.
Das Projekt Jule ist speziell auf die Lebens-
lage junger Alleinerziehender zugeschnit-
ten. Ist es vorstellbar, das auch auf andere
degewo-Kiezen auszudehnen?
Auch in anderen Stadtbezirken befinden sich jun-
ge Alleinerziehende in einer ähnlichen Lebensla-
ge. Deshalb ist ein Projekt wie „Jule“ grundsätz-
lich auch andernorts vorstellbar.
Jetzt kommt es erst einmal darauf an, Erfahrun-
gen aus Marzahn zu sammeln.
Welche Forderungen stellen Sie an die
Politik, damit es weitere Projekte wie Jule
geben kann?
Ich halte die Mittelkürzungen des Bundes im Pro-
grammSoziale Stadt für grundfalsch. Es ist schon
so, dass damit soziales Engagement mancherorts
erschwertwird. Soziale Stadtentwicklung ist eben
nicht nur eine Aufgabe für Bauleute, sondern auch
für Stadtteilmanager und Sozialarbeiter.Wennwir
den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesell-
schaft nicht verlieren wollen, müssen wir auch
weiterhin ausreichend Mittel für soziale Projekte
in den Kommunen zur Verfügung stellen.
Das Interview führte Karin Krentz.
Interview mit Frank Bielka
„Man braucht Überzeugungskraft
und einen langen Atem”
STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
8
4|2013