ne”, wird seither allerorten auf „eine Zukunft für
unsere Vergangenheit” gepocht.
Diskussionen darüber, wie eine Gesellschaft ihre
Behausungsprobleme zu lösen versucht, folgen
Konjunkturen. Andere Zeiten hatten andere Ide-
ale, erstrebten andere Ziele. Und noch immer
scheint jede Generation die Ideen und Taten ihrer
Vorgänger erst einmal geißeln zu müssen – wobei
sie in aller Regel weit übers Ziel hinausschießt,
indem sie das eben noch gepriesene Modell der
Alten zum Feindbild schlechthin erklärt. Das war
schon so, als Stadtbaurat Werner Hegemann 1930
in seiner Streitschrift „Das steinerne Berlin” mit
den Mietskasernen der Gründerzeit abrechnete,
und es wiederholte sich gut dreißig Jahre später,
als der Publizist Wolf-Jobst Siedler mit seinem
elegischen Essay „Die gemordete Stadt” gegen
die nunmehr als gesichtslos und anonymgeschol-
tenenWohnsiedlungen der Moderne zu Felde zog,
gegen den Bauwirtschaftsfunktionalismus, das
familienfeindliche Abstandsgrün und die Seelen-
losigkeit des Betons. Dann, nachwiederumdreißig
Jahren, machte der taz-Journalist Uwe Rada seine
„Generation Alex” ausfindig, jene aufbegehrenden
Kinder, die sich von den hartkantigen Figurenmo-
dernen Bauens nicht länger abschrecken, sondern
plötzlich erneut faszinieren ließen. Steht also der
nächste Pendelschlag bevor? Sucht der Zeitgeist
wieder mal Tapetenwechsel – weg vom Stuckor-
nament, hin zur kahlen Sichtbetonwand?
Meinungskampf um das „richtige“ Leben
Das Problem, so dürfte deutlich geworden sein,
steckt zum einen in dem Wörtchen ästhetisch.
Denn unter allen Kriterien, derer sich Menschen
bei ihrer Weltbetrachtung bedienen, zählt die
Ästhetik zu den flüchtigsten Fähnlein im Winde,
weshalb schon der bedeutende Wiener Architekt
Adolf Loos (1870-1933) vor einer Überbewertung
des schönen Augenscheins warnte: „Änderungen
des alten Stadtbildes dürfen nur aus praktischen
Gründen, niemals aber aus ästhetischen Gründen
erfolgen. Ästhetische Gründe unterliegen der
Wandlung, und da wir bisher immer unrecht ge-
habt haben, werden wir in alle Zukunft unrecht
haben.“
Doch im andauernden Meinungskampf um das
richtige Leben in der Stadt tritt noch ein ande-
rer Konflikt zutage. Großsiedlungen werden von
ihren Bewohnern wie auch von ihren Betreibern
zumeist anders gesehen und bewertet als von den
Meinungsmachern der Medienöffentlichkeit. Letz-
teren bleibt in aller Regel die Insiderperspektive
fremd, dem Phänomen Großsiedlung nähern sie
sich als Flaneure. Umso empfänglicher sind sie für
(Vor)Urteile, die der Zeitgeist serviert. Wer nun
aber urbanes Leben auf Sightseeing, Kaffeehaus-
besuche und Konsumgenuss reduziert, wird in
In der Kräutersiedlung in Dresden Gorbitz entstanden durch die Neugestaltung der Balkone und Terrassen,
den Bau von Mietergärten und die Anpassung der Wohnungsgrundrisse großzügige Freiflächen.
Der Lageplan der Fordsiedlung in Köln-Niehl zeigt die Siedlung mit Dachaufstockungen, mehr Wohnraum und
Platz für eine Solarthermie-Anlage.
Vorbildlich sanierte Wohnungen im Lutherviertel in Halle.
Quelle: Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaft Dresden eG
Quelle: Bauverein Halle&Leuna eG
Quelle: Vissmann
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8|2012