Seite 35 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2012_11

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Investor zu suchen, ging hier der Impuls von der
Wohnbau Lemgo aus.
Der mit mehr als 2.300 Wohnungen größte Woh-
nungsanbieter imKreis Lippe hattemit demSied-
lungsumbau eines innenstadtnahenWohngebietes
aus den 1950er Jahren begonnen, als 2005 eine
alte Konservenfabrik Insolvenz anmeldete, die ih-
ren Standort amEingang des Quartiers hatte. Auf
einer Fläche von 4.500 Quadratmetern drohte nun
eine Industriebrache und damit ein Schandfleck
in dem komplett modernisierten Wohngebiet der
Genossenschaft zu entstehen. Mit dem Ziel, an
diesemattraktiven Standort ein Projekt des Mehr-
generationenwohnens zu realisieren, erwarb die
Wohnbau das Grundstück und ging auf die Suche
nach Menschen, die sich ihren Traum vom Leben
in der Gemeinschaft erfüllen wollten.
Frühzeitige Beteiligung
Diese Menschen fanden sich in dem im Juni 2009
gegründeten Verein Pöstenhof Lemgo e. V. zu-
sammen. Die künftigen Mieter – 58 Erwachsene
und 15 Kinder – wurden während des gesamten
Entwicklungs- und Entstehungsprozesses des
Pöstenhofes stark miteinbezogen. Sie standen in
engem Kontakt zur Wohnbau Lemgo und zu dem
ausführenden Lemgoer Architektenbüro h.s.d. und
haben die Planung ihres Wohnprojektes in regel-
mäßigen moderierten Workshops erarbeitet.
Martina Buhl, die als Beraterin und Moderatorin
fungierte und seit rund 15 Jahren gemeinschaft-
licheWohnprojekte begleitet, betont: „Menschen,
die sich vorher nicht kannten, haben innerhalb von
vier Jahren ein Konzept des generationenübergrei-
fendenWohnens erstellt. Mit einer Kommune oder
Wohngemeinschaft ist dies jedoch nicht vergleich-
bar. Jeder bewahrt mit seiner eigenen Wohnung
seine Privatsphäre, muss aber auch Verantwortung
für die Gemeinschaft übernehmen.“ Letzteres ist
besonders für derartige Projekte wichtig, schließ-
lich ist entscheidend, dass die einziehenden Men-
schen eine entsprechende Grundeinstellung und
ein allgemeines Interesse an Gemeinschaft und
Nachbarschaft mitbringen.
Ansprechende Architektur,
hohe Energieeffizienz
Rund vier Jahre nach dem Planungsbeginn sind im
Sommer 2012die33Wohnungendes Pöstenhofes,
von denen acht öffentlich gefördert sind, bezogen
worden. Die barrierefreien Wohnungen befinden
sich in zwei dreigeschossigen, durch eine Brücke
miteinander verbundenen Baukörpern, deren V-
förmige Anordnung unterschiedliche Außenräume
mit einem großzügigen Innenhof ermöglicht. Die
moderne, ansprechendeArchitektur greift die klein-
gliedrige Bebauung der Lemgoer Altstadt auf. Die
Wohnungenwerdenüber Laubengänge erschlossen,
die Aufenthaltsqualität besitzen und zur Kommu-
nikation einladen. Die Wohnflächen bewegen sich
zwischen 50 und 110 m
2
. Darüber hinaus gibt es
einen Gemeinschaftsraum, der für nachbarschaft-
liche Aktivitäten, Vorträge und Seminare genutzt
wird, sowie eine Gästewohnung. Im Erdgeschoss
bietet eine Tagespflegeeinrichtung des ambulan-
ten Dienstleisters Freie Altenhilfe e.V. auf 300 m
2
viel Platz für bis zu 16 Tagesgäste, die durch dieses
Angebot möglichst lange in der eigenen Wohnung
verbleiben können.
Auch unter energetischen Gesichtspunkten ist der
Pöstenhof ein innovatives Projekt. Mit einer hohen
Dämmstärke von25bis 30cmunddreifachverglas-
tenFensternbesitzt dasGebäudeKfW-40-Standard,
d. h. es werden nur noch 4 Liter Heizöl pro Qua-
dratmeter und Jahr verbraucht. Als regenerative
Maßnahme mit Fernwärme der Stadtwerke Lemgo
versorgt, die durchKraft-Wärme-Kopplung produ-
ziert wird.
Funktionierende Gemeinschaft
Als „Balance zwischen individueller Freiheit und
der Einbindung in die Gemeinschaft“ beschreibt
Rolf Siedenhans, Vorsitzender des Vereins Pös-
tenhof Lemgo e. V., das Leben im Mehrgenerati-
onenhaus: Im Pöstenhof gebe es keinen Zwang,
sich permanent und in festgelegten Bereichen
einzubringen. Jeder könne gemäß seinen Fähig-
keiten und Interessen selbst entscheiden, wie er
sich an der Gemeinschaft beteiligt – egal ob er
selbst Literaturrunden, Filmabende oder Wan-
dertouren organisieren möchte, inwieweit er an
Feiern und geselligen Stunden im Innenhof oder
Gemeinschaftsraum teilnehme oder wie groß sein
Engagement im Garten- oder Bauteam ausfalle.
„Wir wünschen uns ein quirliges, bunt gemisch-
tes Allerlei anMenschen unterschiedlicher – auch
ethnischer – Herkunft. Wichtig ist uns zudem die
Öffnung nach außen. Wir verstehen uns nicht als
geschlossene Gruppe, sondernwollen den Kontakt
zu unseren Nachbarn imQuartier pflegen“, betont
er. Für Rolf Siedenhans steht fest: „Angesichts des
demografischenWandels wird das gemeinschaft-
liche, generationenübergreifendeWohnen immer
attraktiver. Denn das Miteinander von Alt und Jung
stellt ohne Zweifel eineWin-Win-Situation für alle
Altersgruppen dar.“
6,5 Mio. € hat die Wohnbau Lemgo in den Bau des
Pöstenhofes investiert. „Wohnungsbaugenossen-
schaften müssen trotz ihrer großen Erfahrung im
Bauen undWohnen stets offen für neue, zukunfts-
orientierte Wohnformen sein. Darum ist es kein
Zufall, dass unsere Genossenschaft als Initiator
dieses Projekt ins Leben gerufen hat. Aufgrund
seiner Größe stellt der Pöstenhof gerade im
ländlichen Raum eine Herausforderung dar und
ist mit seinem innovativen Ansatz für Lemgo und
ganz Lippe einzigartig“, betont der Wohnbau-
Vorstandsvorsitzende Thorsten Kleinebekel.
Das Projekt Pöstenhof wurde bereits mit dem Genossenschaftspreis Wohnen 2010 ausgezeichnet.
Gegründet:
1948
Eigene/verwaltete Wohneinheiten:
2.356/780
Mitglieder:
4.500
Leerstand:
1,5 %
Mod./Inst.-Investitionen (2011):
2,3 Mio € (15,36 €/m
2
)
Bilanzsumme (31.12.2011):
73,2 Mio. €
WOHNBAU LEMGO EG
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