Seite 55 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_11_2011

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Herr Prof. Dr. Hanisch, die UNO hat 2012
zum Internationalen Jahr der Genossen­
schaften deklariert. Welche Ziele verfolgt
die UNO mit dem Internationalen Genos­
senschaftsjahr?
Prof. Dr. Hanisch:
DieVereintenNationen
möchten die öffentliche Aufmerksamkeit
stärker als bisher auf die Genossenschaften
und ihre Leistungen lenken. Insbeson-
dere ihre Beiträge zur gesellschaftlichen
und sozialen Entwicklung, ihr Beitrag zur
Armutsbekämpfung und Einkommenssi-
cherung und der zur Sicherung von Arbeit,
Wohlstand und sozialer Integration stehen
im Vordergrund. Wir können diese ein-
zigartige Initiative für Genossenschaften
aber nur verstehen, wenn wir uns die
anhaltenden Krisen unserer wichtigsten
gesellschaftlichen Koordinationsmecha-
nismen vor Augen führen: Das Vertrauen
in Marktmechanismen ist nicht nur in der
Finanz- und Immobilienbranche erschüt-
tert. Ohne eine Besinnung
auf eine auf gesellschaftliche
Werte orientierte wirtschaft-
liche Handlungsweise gibt es
keine Lösungen. Das Genossen-
schaftsjahr setzt genau hier an
und will auf genossenschaftli-
ches Handeln und die beste-
henden Strukturen aufmerksam
machen sowie den Zusam-
menhang zu demokratischen Werten und
friedvollem generationenübergreifendem
Arbeiten in Gemeinde und Gesellschaft
weltweit herstellen. Gleichzeitig wird die
Politik aufgefordert, Genossenschaften
wahrzunehmen und für sie faire Entwick-
lungsbedingungen zu schaffen.
Die Humboldt-Universität beteiligt sich
mit einer Fachtagung am Internationalen
Genossenschaftsjahr. Welche Themen
und Redner sind geplant?
Prof. Dr. Hanisch:
Die unter anderem mit
Unterstützung des Präsidiums der Hum-
boldt-Universität zu Berlin, dem DGRV, des
GdW sowie der Genossenschaftspraxis ver-
anstaltete und durch die DZ BANK-Stiftung
finanziell getragene Tagung „Genossen-
schaftliche Antworten auf globale Heraus-
forderungen“ vom 21. bis 23. März 2012 in
Berlin bildet den Auftakt für weitere wis-
senschaftliche Aktivitäten in Deutschland
und Europa. Bis zu 300 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer werden erwartet, bisher
gingen Anmeldungen aus 43 verschiedenen
Ländern ein. Von den Vereinten Nationen
wird der renom-
mier te Ökonom
Dr. Jomo Kwame
Sunda r am, de r
Assistant Secretary
General der Abtei-
lung für Wirtschaft-
liche und Soziale
Entwicklung(DESA),
einen Hauptvor-
trag über globale Herausforderungen
und die Ziele des Genossenschaftsjahrs
halten. Von der Weltbank spricht Dr. Marie
Helene Collion, die Chefökonomin für länd-
liche Entwicklung und eine ausgewiesene
Expertin im Genossenschaftswesen ist, über
die Bedeutung von Genossenschaften aus
Sicht der Weltbank. In 30 parallel statt-
findenen Workshops sind über drei Tage
lang über 100 Vorträge zu allen Genossen-
schaftssparten zu hören. Das Organisati-
onskomitee liest sich wie das Who is Who
der internationalen Genossenschaftswis-
senschaft. Jeder der 20 Namen steht für
einen Vortrag in einer Sitzung und für hohe
wissenschaftliche Qualität. Googeln Sie
einfach mal Namen wie Michael Cook oder
George Hendrikse…
Welche Impulse können vom Interna­
tionalen Genossenschaftsjahr und der
Tagung an der Humboldt-Universität für
die Weiterentwicklung des Genossen­
schaftsgedankens ausgehen?
Prof. Dr. Hanisch:
Neben Fragen der
Behandlung des Eigenkapitals und der
Finanzierung, der Fehlentwicklung unserer
Marktstrukturen oder der Überalterung
– wie sie uns bislang in Europa vielleicht
besonders beschäftigen – interessieren
auch neue Phänomene und Probleme,
die unbeantwortet nicht vor den Grenzen
Europas halt machen werden. Genossen-
schaf tswissenschaf t der Zukunf t muss
sich auch mit Spielregeln für die Reform
unserer globalisierenden, immer stärker
integrierten Märkte beschäf tigen, mit
Themen der Energiewende, der Armut,
der Megacity-Entwicklung, dem demo-
grafischen Wandel oder des kollektiven
Managements natürlicher Ressourcen
wie Wald oder Fischbeständen. Hier wird
die Tagung sicher einige Akzente setzen
können.
Die Forschung zeigt zudem ganz klar: In
einer immer komplexeren Welt steht keines
dieser Probleme allein für sich. Niemand
sollte deshalb erwarten, dass einzelne
Disziplinen für sich hier zu echten Durch-
brüchen führen werden. Viele Fallbeispiele
zeigen aber, dass bestimmte Disziplinen
übergreifende Konzepte und Gestaltungs-
prinzipien, wie das der Genossenschaft, in
Zukunft wichtige Rollen spielen werden, um
der erwähnten steigenden Komplexität der
Welt besser zu begegnen. Ich weiß, im Wett-
bewerb der Ideen hat die Genossenschaft
– und das, was wir daraus noch machen
werden – auch in Zukunft gute Chancen. Ich
verspreche mir nicht weniger, als dass die
Tagung hier wichtige Impulse hervorbringt.
Ein Ziel ist natürlich auch, die Genossen-
schaftsforschung stärker als bisher auf die
Agenda zu setzen.
Herr Prof. Dr. Hanisch,
vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Monika Kegel, GdW.
Interview mit Prof. Dr. Markus Hanisch, Humboldt-Universität zu Berlin
„Genossenschaft werden künftig eine wichtige Rolle spielen“
Prof. Dr. Markus
Hanisch
Quelle:
privat
Prof. Dr. Markus Hanisch, Leiter des Fachgebiets Kooperationswissenschaften der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen
Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, hat sich als Wissenschaftsvertreter mit dafür eingesetzt, dass die UNO 2012
zum Internationalen Jahr der Genossenschaften deklariert. Für die DW erklärt er die Bedeutung dieses Jahres für die
Wohnungsgenossenschaften, den Genossenschaftsgedanken und die Genossenschaftsforschung.
Die Wohnungswirtschaft
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