Mieter und den Vorstellungen der Planer
kommen, räumte Dr. Hunger ein. Er sprach
sich jedoch dafür aus, die Wünsche der
Menschen ernst zu nehmen, selbst wenn
dies den Planern manchmal schwer falle.
Mit einem ähnlichen Dilemma sah sich die
Berliner degewo bei ihrer mit dem bdla-Son-
derpreis ausgezeichneten Planung für das
Schorfheideviertel in Berlin-Marzahn kon-
frontiert. Wie Gabi Pütz vom Landschafts-
planungsbüro gruppe F berichtete, trat
nämlich im Zuge des Charrette-Verfahrens,
mit dem die Vorstellungen der Anwohner
ermittelt wurden, der Wunsch zutage, auf
den durch den Abriss mehrerer Wohn-
häuser entstandenen Freiflächen Garagen
zu errichten – eine Forderung, die bei Poli-
tikern und Planern alles andere als Begeis-
terung hervorrief. Dennoch gelang es, die
Vorstellung der Anwohner und den Quali-
tätsanspruch der Landschaftsarchitekten
unter einen Hut zu bringen: Die gruppe
F gestaltete die Garagen als so genannte
Mufus (Multifunktionsboxen), die sich nicht
nur zum Abstellen des Autos, sondern zum
Beispiel auch als Bastelraum eignen. Und
sie wurden auf der Freifläche so verteilt,
dass sie einer Schafherde gleichen. Denn
die planerische Grundidee, die zusammen
mit den Bewohnern entwickelt wurde,
bestand darin, die namengebende Schorf-
heide (ein Waldgebiet nördlich von Berlin)
gleichsam in das Viertel zu holen. Erreicht
wurde dies, indem eine Parklandschaft
mit Kiefern und Gräsern modelliert wurde.
Sogar die Hirsche der Schorfheide sind vor-
handen – in Gestalt von Hirschskulpturen,
die ein Künstler ebenfalls unter Einbezug
der Bewohner gestaltete.
Empfehlungen an die Planer
Wichtig für den Partizipationsprozess, so
Pütz weiter, sei es, die Menschen an ihrem
Ort abzuholen und mit ihnen dort zu spre-
chen, wo sie sich aufhielten („Bürgersteig-
gespräche“). Außerdem müsse man von
Anfang an die Rahmenbedingungen klar-
machen und den Bürgern offen sagen, dass
ihre Ideen nicht eins zu eins und nicht gleich
am nächsten Tag Realität würden: „Man
muss ihre Ideen planerisch umsetzen, um
eine gestalterische Qualität zu erreichen.“
Eine weitere Empfehlung der Planerin ist
eine intensive Pressearbeit – aus ganz prak-
tischen Gründen: Wenn man zusammen
mit den zuständigen Politikern die Zwi-
schenergebnisse auf einer Pressekonferenz
öffentlich vorstelle, falle es diesen Politikern
später viel schwerer, wieder davon abzurü-
cken. Und schließlich rief Pütz dazu auf,
die Menschen über den Planungsprozess
hinaus in die Verantwortung zu nehmen
– so wie es im Schorfheideviertel gelang,
wo Anwohner Patenschaften für die Hirsch
skulpturen übernommen haben.
„Mit der Beteiligungskultur machen wir alle
unsere Erfahrungen, und oft sind es keine
einfachen“, sagte auch Freddy Terfrüchte
vom Essener Landschaftsplanungsbüro
Davids Terfrüchte + Partner. „Aber es gibt
dazu keine Alternative.“ Partizipation reiche
dabei nicht aus; vielmehr gehe es um das
„Anstiften zum Selbermachen“. Terfrüchte
sprach sich dafür aus, den Begriff des
Wohnumfelds nicht auf die unmittelbare
Umgebung der Wohnhäuser zu begrenzen,
sondern den Kreis weiter zu ziehen. Denn
gerade junge Menschen bräuchten Raum,
um ihre Erfahrungen zu machen; ein
gewisser Abstand zu den Wohnungen ver-
ringere das damit verbundene Konfliktpo-
tenzial. Die Wohnungsunternehmen rief
Terfrüchte deshalb dazu auf, nicht „autis-
tisch“ zu agieren, sondern diesen Gesamt-
zusammenhang mit zu berücksichtigen:
„Wohnungsunternehmen sind wichtige
Impulsgeber für die Stadt.“
Christian Hunziker, Berlin
Die Multifunktionsboxen (Mufus) im Berliner Schorfheideviertel dienen als Garage oder Hobby
raum – und sind in Form einer Schafherde angeordnet.
Quelle: degewo, Foto: Jens Rötzsch
Eine durch den Abriss mehrerer Wohnhäuser entstandene Freifläche verwandelte die Berliner degewo in eine Parklandschaft, die an die Schorf
heide erinnert.
Quelle: degewo, Foto: Jens Rötzsch
Die Wohnungswirtschaft
11/2011
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