CONTROLLER Magazin 6/2015 - page 44

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Problemfeld 1: Die Notwendigkeit
und Dringlichkeit des Wandels
wird nicht frühzeitig erkannt
bzw. nicht breit und konsequent
ins Unternehmen transportiert
Individuen und Organisationen tun sich in aller
Regel schwer, einen gegebenen Status quo zu
verlassen. Noch schwieriger ist dies, wenn die
Notwendigkeit des Wandels noch nicht präsent
ist, sondern die Ursache eher als ein schwer
greifbares „… es könnte vielleicht in der Zu-
kunft sein, dass …“ umschrieben werden
muss. Wie schafft man es als Führungskraft in
dieser Situation, sich selbst und die Mitarbeiter
aus der „analogen Komfortzone“ zu bringen
und den Wandel zu initiieren? Einfach Abwar-
ten, bis genug hoher wirtschaftlicher Druck
sichtbar wird?
Eine „Burning Platform“, also eine Notsituation,
in welcher der Überlebensinstinkt zwingt, die
Komfortzone zu verlassen, baut am einfachs-
ten Momentum auf, um radikale Veränderun-
gen anzugehen.
Die Belegschaft wird quasi
zur Veränderung gezwungen und ist eher
bereit, auch schmerzhafte Einschnitte hin-
zunehmen.
Jedoch ist das Risiko ein bereits
eingeschränkter Handlungsrahmen, der es
möglicherweise zwar erlaubt, Veränderungen
zu „überleben“, aber selten ermöglicht, sie als
Chance zu nutzen. Der Niedergang von
KarstadtQuelle ist in mehrfacher Hinsicht ein
Beispiel für reaktives Handeln. Sanierungsrun-
de folgt auf Sanierungsrunde. Immer neue
CEOs und Eigentümer sollten als Heilsbringer
und Retter den Turnaround schaffen. Bemer-
kenswert ist dabei, dass das Unternehmen mit
seinem frühzeitigen Einstieg im Internet sogar
gute Chancen gehabt hätte, hier eine führende
Rolle zu spielen.
So berichtete die Computerwoche in einem Arti-
kel vom 31.8.2001, dass der Konzern seinen E-
Commerce Umsatz im ersten Halbjahr 2001 um
125 Prozent auf 356 Millionen Euro steigern
konnte. Als Ziel für das Gesamtjahr wurden da-
mals mehr als 700 Millionen Euro avisiert. Wer
allerdings glaubt, dass dies dazu geführt hat,
den digitalen Hebel auf Vollgas zu stellen und
den stationären Handel systematisch zu reduzie-
ren, wird von der deutschen Wirtschaftsge-
schichte eines Besseren belehrt. Trotz dieser –
selbst im heutigen Vergleich mit Zalando – at-
traktiven Umsatzgröße kam das damalige
Karstadt Quelle Management zum Schluss, dass
„für das Warenhaus […] das Internet ein Marke-
ting-Instrument und kein Umsatzbringer“ ist und
setzte entsprechend „wenig Hoffnung ins Web“.
Hier zeigt sich deutlich, dass es bei diskontinu-
ierlichen Veränderungen auch eines weitrei-
chenden Umbaus des organisationalen Selbst-
verständnisses und damit des mentalen Mo-
dells des einzelnen Individuums im Unterneh-
men bedarf.
Dieser Wandel kostet aber Zeit
und bedarf eines positiven Umfeldes.
Zu
hoher zeitlicher und wirtschaftlicher Druck ist
hier kontraproduktiv. Denn einerseits sorgt ein
negatives Umfeld für paralysierte Mitarbeiter.
Die Kreativität, die es zum Umbau bestehender
bzw. zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle
braucht, bleibt zwangsläufig auf der Strecke.
Die besten Köpfe haben das Unternehmen oft
bereits schon verlassen. Andererseits limitieren
knappe Budgets den Spielraum für neue, zu-
kunftsgerichtete Investitionsprojekte.
Man ar-
beitet mit halbgaren Kompromisslösungen
und spart sich zu Tode.
Wer fertig sein will, bevor der Wettbewerbs-
druck zu groß wird,
muss frühzeitig anfan-
gen
, denn sonst kann – wie dies der Nürnber-
ger Betriebswirt Professor Werner Pfeiffer einst
postulierte – „Abwarten die Zukunft kosten“.
Rechtzeitig und mit Nachdruck das Gefühl
für die Notwendigkeit der Veränderung zu
erzeugen
, ohne dabei gleichzeitig zu viel Angst
und große Unsicherheit bei den Stakeholdern
auszulösen, ist conditio sine qua non für das
Topmanagement. Es ist einiges an Fingerspit-
zengefühl gefragt, denn wer zu häufig Feuer
ruft, ohne dass es brennt, wird irgendwann
nicht mehr gehört – selbst wenn das Haus tat-
sächlich lichterloh in Flammen steht.
Problemfeld 2: Es wird keine
starke Führungskoalition auf-
gebaut, die für den digitalen
Wandel steht und diesen treibt
Ohne eine starke „Guiding Coalition“ im Unter-
nehmen sind Transformationsprozesse von Be-
ginn an zum Scheitern verurteilt. Wiederstrei-
tende Interessenlage im Topmanagement, wie
in einem anderen Kontext vor gut einem Jahr-
zehnt der Fall Winterkorn/Pischetsrieder im VW
Konzern zeigte, lähmen das Unternehmen und
sorgen für Lagerbildung quer durch die Beleg-
schaft. Nicht nur in der digitalen Transformation
muss der CEO stets der Ausgangspunkt und
Treiber der Veränderungen sein und das Top-
management aus einem Guss agieren.
Gisbert Rühl, CEO des Stahlhändlers Klöckner
& Co., ist aktuell ein gutes Beispiel für die Kon-
sequenz und Sichtbarkeit, mit der digitale
Transformationsprozesse vorangetrieben wer-
den können. Die konkrete Herausforderung ist
in diesem Fall eine erhebliche, denn sowohl bei
Klöckner als auch in der Branche der Stahl-
und Metalldistribution ist man noch weit davon
entfernt, mit technologischen Lösungen zu ar-
beiten, die in anderen Branchen bereits Stan-
dard sind. Zwar ist heute keinesfalls sicher, ob
Klöckner’s Komplettumbau zum Online-Handel
letztlich von Erfolg gekrönt sein wird, aber Rühl
bringt im Vergleich zu vielen anderen CEO-
Kollegen ein wichtiges Asset im Lebenslauf mit.
Er hatte bereits CIO- und CFO-Rollen inne.
Für den digitalen Wandel muss nämlich sicher-
gestellt sein, dass in der Führungsgruppe kein
„Disconnect“ zwischen CEO/CFO und CIO/CTO
besteht. Die getrennten Denkweisen beider Be-
reiche, die Homburg und Jensen als „Thought
Worlds“ bezeichnen und die sich häufig im Silo-
denken manifestieren, stehen einer engen In-
teraktion erheblich entgegen. Immer häufiger
ist daher zu beobachten, dass diese Silos auf-
gebrochen werden, um die digitale Transforma-
tion voranzutreiben. Ingrid-Helen Arnold, CIO
und CPO der SAP SE, beispielsweise begann
ihre Karriere im Controlling, bevor sie mit der
Einführung von Enterprise Analytics Innovatio-
nen im Unternehmen betraut wurde. Diese Er-
fahrungen mit den Geschäftsprozessen und der
Finanzseite des Unternehmens soll sie nun nut-
zen, um mit Innovationen die Transformation
des Business und die Herausforderungen, die
sich daraus für die Unternehmenssteuerung er-
geben, anzugehen.
Wer als CEO schon auf beiden Seiten des
Tisches saß, ist mithin besser gerüstet, die
teils gegensätzlichen und wiederstrebenden
Interessenlagen zu ordnen. Ob technologisch
gesehen nun der CIO oder doch vielleicht eher
Digitale Transformation als Change Management-Aufgabe
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