Seite 92 - CONTROLLER_Magazin_2013_02

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dessen Aussagekraft im Gegensatz zur Liqui-
dität I I. Grades? Das soll anhand von zwei
Beispielen verdeutlicht werden.
Der positive Fall
Dazu schauen wir uns einmal eine beispielhafte
Strukturbilanz und die dazu gehörenden Kenn-
zahlen an:
Das Unternehmen beschließt nun, seine Vor-
ratsbestände abzubauen, um die Kosten der
Lagerhaltung zu reduzieren. Dabei bleibt die
Höhe der Forderungen aus Lieferung und Leis-
tung gleich, da das Unternehmen zuerst seine
Produkte aus dem Lager verkauft und für die
Nachproduktion die gelagerten Rohstoffe ver-
wendet. Die Umschlaggeschwindigkeit bleibt
insgesamt gleich. Mit dem erwirtschafteten
Cash zahlt das Unternehmen seine kurzfris-
tigen Verbindlichkeiten zurück, die es zum Auf-
bau der Lagerbestände benötigt hat. Nach
einiger Zeit sieht die Bilanz wie folgt aus:
Insgesamt wurden Vorräte für 150 GE abgebaut
und die Verbindlichkeiten in gleicher Höhe redu-
ziert. Das ergibt en bloc eine Bilanzverkürzung
um 150 GE. Wie hat sich nun die Liquiditätslage
verändert?
Das Unternehmen muss nun weniger Verbind-
lichkeiten mit dem gleichen Bestand an Zah-
lungsmit teln und Forderungen decken. Der
Liquiditätsgrad II hat sich damit von 137,50%
auf 220% erhöht. Sowohl das Working Capital
als auch das Net Working Capital hingegen
haben sich nicht verändert, es beträgt weiterhin
500 bzw. 450 GE.
Würde das Unternehmen
nun nur nach dem Net Working Capital ge-
steuert werden, wäre die Verbesserung der
Liquiditätslage nicht ersichtlich gewesen.
Eventuell würde der steuernde Impuls, nämlich
die Reduzierung der Lagerbestände, gar nicht
erfolgen, da die positiven Auswirkungen nicht
gemessen werden könnten.
Der negative Fall
Viel gefährlicher kann es jedoch sein, wenn im
Unternehmen notwendige Eingriffe unterlassen
werden, da diese Notwendigkeit nicht erkannt
wird. Nehmen wir dazu wieder unser Beispiel-
unternehmen. Die Absatzleistung sinkt auf-
grund einer schlechten wirtschaftlichen Lage,
die Produktion wird jedoch noch nicht gedros-
selt, sondern die fertigen Erzeugnisse werden
gelagert. Die notwendigen Zahlungen für die
Rohstoffe werden aus den Mitteln geleistet, die
dem Unternehmen durch die Begleichung der
Forderungen seiner Kunden zufließen. Da durch
den Umsatzrückgang keine weiteren Produkte
mehr verkauft werden können, sinkt der Forde-
rungsbestand. Nach einiger Zeit sieht die Bilanz
vielleicht wie in Abbildung 5 aus:
Auch hier zeigt sich keine Veränderung des
(Net) Working Capitals:
beide Werte betragen
immer noch 500 bzw. 450 GE. Doch die
Liqui-
ditätslage wird langsam angespannt.
Im
Moment kann das Unternehmen seine kurzfris-
tigen Verbindlichkeiten gerade noch mit seinen
Forderungen und Cash decken. Das ist gut zu
erkennen am Liquiditätsgrad II, der nun 100%
beträgt. Wenn die Flaute am Absatzmarkt noch
etwas länger anhält, wird das Unternehmen
jedoch eventuell seine Vorräte versilbern
müssen, um seine kurzfristigen Verbindlich-
keiten zu decken. Nur liegt darin genau das
aktuelle Problem: momentan kann es seine
Produkte nicht absetzen.
Der notwendige Steuerungsbedarf wird auch
hier nicht durch das Net Working Capital an-
gezeigt. Während im positiven Beispiel oben
„nur“ Verbesserungspotenzial verschenkt
wird, steuert das Unternehmen nun eventuell
auf einen Eisberg zu, den niemand sieht.
Die-
se potenziell bedrohliche Situation fällt
jedoch durch die sinkende Liquidität II
auf.
Für die operative Unternehmenssteue-
rung erscheint das Net Working Capital daher
nicht geeignet.
Wofür kann man das
Working Capital verwenden?
Doch obwohl das Net Working Capital einige
Sachverhalte nicht aufzeigt, sollte die Kennzahl
deswegen nicht missachtet werden. Aus der
Höhe des Net Working Capital lassen sich näm-
lich durchaus Handlungsempfehlungen ablei-
ten.
Dazu sollte bewertet werden, ob das
Net Working Capital im Vergleich zum
Branchendurchschnitt hoch oder niedrig
ist.
Die Steuerung der Höhe des Working
Capitals ist dann Aufgabe des Working Capital
Managements. Grundsätzlich wird durch eine
Reduzierung des Working Capitals Liquidität
freigesetzt, während Erhöhungen Finanzie-
rungsbedarf auslösen.
Für das Working Capital Management stehen
wieder die drei Stellschrauben des Cash-
Conversion-Cycles zur Verfügung. Optimiert
ein Unternehmen beispielsweise seine
Lager-
haltung
(Reduzierung der Lagerbestände und/
oder Lagerdauer, Änderung des Produktions-
ablaufs, Umstellung auf Just-in-Time), kann es
bei gleicher Bereitstellungsleistung des Lagers
Cash generieren. Der höhere Bestand an Vorrä-
Autor
Florian Bliefert
ist Hochschuldozent und arbeitet als Beteiligungscontroller
beim ADAC e.V. in München.
Abb. 5: Strukturbilanz – Umschichtung im UV
Abb. 4: Strukturbilanz – Lagerabbau
Was sagt das Working Capital aus?