Seite 93 - CONTROLLER_Magazin_2013_02

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ten war ja vorher bereits finanziert und diese
freigewordene Liquidität kann anderweitig nun
genutzt werden.
Auch die
Kapitalbindung in Forderungen
kann gesenkt werden. Einmal können den Kun-
den Skonti als Anreiz zur schnellen Bezahlung
in Aussicht gestellt werden. Anderseits dient
auch ein effektives Forderungsmanagement
dazu dienen, Außenstände schneller einzutrei-
ben und dadurch die durchschnittliche Forde-
rungsdauer zu reduzieren. Ein anderer Ansatz
ist, die Forderungen per Factoring sofort zu
Geld zu machen. Auch hier wird durch eine Re-
duzierung der Forderungsbestände und deren
Dauer Cash generiert. Zu beachten ist hierbei
jedoch, dass z. B. ein raues Mahnverhalten bei
serviceorientierten Kunden die Geschäftsbe-
ziehung negativ beeinflussen könnte.
Die dritte Stellschraube stellen die
Lieferan-
tenverbindlichkeiten
dar. Sie dienen der
kurzfristigen Finanzierung und ihre Höhe
beeinflusst das Net Working Capital positiv. Es
ist liquiditätsschonend, eventuelle Zahlungs-
ziele möglichst auszunutzen, wobei es jedoch
sinnvoll ist, innerhalb der Skonto-Frist zu
bleiben. Die Zinssätze für Lieferantenkredite
liegen in der Regel rechnerisch deutlich über
vergleichbaren Bankzinsen. Auch hier hat die
Zahlungsmoral des Unternehmens Einfluss
auf die Geschäftsbeziehung. Ein regelmäßiger
Zahlungsverzug wird das Verhältnis zu den
Lieferanten auf Dauer belasten und kann
sogar den Ruf und die Bonität des Unter-
nehmens beschädigen.
Schauen wir uns die Erfolge von Working Capi-
tal Management in unserem Beispiel an. Hier
sind die Vorräte und die Forderungen jeweils
um 50 GE optimiert (d. h. gesenkt) worden. Bis-
her wurde noch nichts an der Finanzierungs-
struktur geändert (siehe Abbildung 6).
Es ist auch gut zu erkennen, warum man
lieber
auf das Net Working Capital
als aussage-
kräftige Kennzahl
anstatt auf das Working
Capital zurückgreifen
sollte. Obwohl das
Unternehmen Finanzmittel in Höhe von 100 GE
freigesetzt und dadurch seine Liquiditätslage
verbessert hat, bleibt das Working Capital im-
mer noch bei 500 GE. Der Erfolg der Cash-
Freisetzung ist nur beim Net Working Capital zu
sehen, dieses ist auf 350 GE gesunken.
Das Unternehmen kann nun seine Geldmittel
als Liquiditätsreserve behalten und seine Liqui-
dität I nachhaltig verbessern. Dabei ist
natür-
lich immer zu beachten, dass Kassenhal-
tung auch Opportunitätskosten verurs-
acht.
Eine andere Möglichkeit wäre die Redu-
zierung der kurzfristigen Verbindlichkeiten.
Dabei würde sich die Liquidität II von anfäng-
lich 137,50% (vgl. Abbildung 3) auf 166,67%
verbessern.
Das Working Capital sinkt erst dann, wenn das
Unternehmen mit den freigesetzten Mitteln sei-
ne langfristigen Verbindlichkeiten zurückführt
(oder neues Anlagevermögen erwirbt). Ein im
Branchendurchschnitt zu hohes Working Capi-
tal kann also durchaus Anstoß zu Optimie-
rungen liefern. Jedoch sollte dabei immer die
Liquidität im Auge behalten werden.
Nach der Rückführung von langfristigen Ver-
bindlichkeiten um 100 GE hat sich zwar das
Working Capital verringert (siehe Abbildung 7),
aber die Liquiditätsgrade II und III sind schlech-
ter geworden gegenüber der Ausgangsbilanz
(vgl. Abbildung 3).
Was sollte genutzt werden?
Es gibt also viele Methoden, um Liquidität zu
messen, und jede Methode hat ihren eigenen
Einsatzzweck. So kann die Höhe des
Working
Capitals
im Branchenvergleich eventuellen
Handlungsbedarf aufzeigen. Ist es zu niedrig
(wobei negative Werte nicht per se bedenklich
sind, wenn diese in der Branche üblich sind),
so ist vielleicht das Problem in der Finanzie-
rungsstruktur zu suchen. Da das Working
Capital aussagt, in welcher Höhe das Umlauf-
vermögens mit langfristigem Kapital gedeckt
ist, könnte dies auf ein Ungleichgewicht im
Verhältnis von lang- und kurzfristigem Kapital
hinweisen.
Aus der Höhe des Net Working Capital sind
Finanzierungspotenziale durch ein effizi-
enteres Working Capital Management
ersichtlich.
Ein zu hohes Net Working Capital
verursacht unnötige Zinskosten, da das
benötigte Kapital zum Teil langfristig mit
höheren Zinsen finanziert ist. Bei der Reduzie-
rung durch das Working Capital Management
sollte aber darauf geachtet werden, dass vor
lauter Optimierung die Liquiditätslage nicht
gefährdet wird.
Zur Steuerung des operativen Geschäfts ist
es auf jeden Fall sinnvoll, neben Umsätzen
und Gewinnen auch die Liquiditätslage zu
betrachten.
Wie wir gesehen haben, ist der Li-
quiditätsgrad II dazu gut geeignet. Er zeigt Ver-
änderungen im Unternehmen schnell genug an,
um rechtzeitig reagieren zu können. Dabei ist er
aber unempfindlicher gegenüber kurzfristigen
Schwankungen in den Cash-Beständen als die
Liquidität I. Sogar der Erfolg des Working Capi-
tal Managements des Unternehmens wird durch
die Liquidität I I abgebildet (Steigerung von
137,50% auf 150%). Eine eigene Darstellung
der Veränderung des Net Working Capital wäre
in dem Fall nicht nötig.
Die Liquidität II ist
damit eine ideale Mischung aus schneller
Reaktionsfähigkeit und hoher Anzeige-
genauigkeit.
Bei allen Kennzahlenberechungen und -be-
trachtungen sollten Sie jedoch auch immer
beachten: Die
Kennzahlen
selber beantworten
Ihnen keine Fragen. Sie
helfen Ihnen, die
richtigen Fragen zu stellen!
Abb. 6: Erfolge von Working Capital Management
Abb. 7: Strukturbilanz und Kennzahlen nach Rückführung von Verbindlichkeiten
CM März / April 2013