Seite 47 - CONTROLLER_Magazin_2013_02

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venzwahrscheinlichkeit, sondern die Wahr-
scheinlichkeit eines 90-tägigen Zahlungs-
verzuges, die naturgemäß deutlich höher
ausfällt.
Das Vorgehen ist dem Geschäftsmodell der
Banken geschuldet, die im Gegensatz zu einem
Investor keinen Ausfall (weder Kapital noch
Zinszahlungen) einkalkulieren oder akzeptieren,
dafür aber auch eine geringere Verzinsung ver-
langen.
Abgrenzung Rating und Scoring
Innerhalb eines
Ratingprozesses
werden
wirtschaftliche Daten analysiert und bewertet
sowie qualitative Faktoren beurteilt. Diese er-
halten gemäß ihrer statistischen Relevanz
eine Gewichtung, mit der sie in das Gesamt-
ergebnis einfließen. Dieses Ergebnis stellt
wiederum die statistische Ausfallwahrschein-
lichkeit dar.
Demgegenüber besteht ein
Scoring
aus einer
„Liste“ von Eigenschaften
des Ratingob-
jektes, die hinterfragt werden sollen. Diese sind
nach Erfahrungswerten, oder in der ausgefeil-
teren Form ebenfalls nach statistischen Daten,
bepunktet. Während der Untersuchung werden
die für die einzelnen Fakten jeweils vergebenen
Punkte aufaddiert. Im Gegensatz zum Rating
fließen aber nur quantitative Aspekte und harte
Faktoren ein und es erfolgt in der Regel keine
Bewertung qualitativer Daten durch eine aus-
wertende Person. Jedoch weichen die Systeme
der einzelnen Anbieter mitunter deutlich vonei-
nander ab, was einen Vergleich erschwert. Ab-
hängig von der Summe der Punkte ergibt sich
am Ende ein negatives oder ein positives Er-
gebnis, z. B. eine positive Kreditentscheidung,
sobald ein festgelegter Schwellenwert unter-
bzw. überschritten wird.
Im Grundgedanken ähneln sich Rating und
Scoring. Der Ablauf ist jedoch ein anderer.
Scorings werden im Kreditbereich vor
allem für Privatkredite eingesetzt.
Zum ei-
nen ist die Abwicklung einfacher und leichter
automatisierbar, zum anderen finden sich bei
natürlichen Personen mehr Attribute, die ein
tatsächliches Indiz für die zukünftige Einkom-
menssituation geben. Mit einem Hochschul-
abschluss ist die Wahrscheinlichkeit der Ar-
beitslosigkeit tendenziell geringer, wer Kinder
hat, wird eher auf Risikosportarten verzichten,
und je jünger die Person ist, desto geringer ist
die Wahrscheinlichkeit der Arbeitsunfähigkeit
und desto länger die Zeit bis zum Rentenein-
tritt.
Trends
Die
quantitative Analyse
und Beurteilung der
Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen
werden zwar noch eine Weile wesentlicher Be-
standteil des Ratingprozesses bleiben,
verlieren
aber zunehmend
an Bedeutung
. Durch die
Einführung des Bilanzrechtsmodernisierungs-
gesetzes (BilMoG) wurden die Bilanzierungs-
und Bewertungsspielräume der Unternehmen
deutlich erhöht. Mit der zunehmenden Nutzung
dieser Spielräume verlieren die bisher im
Vordergrund stehenden Bilanz-Kennzahlen an
Aussagekraft und Vergleichbarkeit zwischen
den Unternehmen.
Durch die Ausnutzung der Bewertungsspiel-
räume kaum beeinflussbar sind hingegen die
Cash Flow-Größen. Daher ist zu erwarten,
dass sich die Ratingverfahren zunehmend auf
diese Kennzahlen stützen werden. Dieser
Schritt ist auch sachlich nachvollziehbar, da
die Liquidität bei Unternehmenskrisen stets
eine größere und vor allen kurzfristigere Be-
deutung hat als beispielsweise die Eigenkapi-
talrelationen.
Durch die
zunehmende Beschleunigung der
wirtschaftlichen Abläufe
sind die Banken
und Ratinginstitute zunehmend auf der Suche
nach kurzfristigeren und mehr vorwärtsori-
entier ten Indikatoren mit Einfluss auf die
Zukunf tsfähigkeit von Unternehmen. Diese
werden die bisherigen rückwärtsgerichteten
Kriterien zunehmend ergänzen.
Die voranschreitende Datenvernetzung und
der allgegenwärtige Einsatz der EDV er-
möglichen verstärkt automatische Rating-
verfahren.
Unternehmen und Privatleute müs-
sen davon ausgehen, dass sie häufiger und
umfassender bewertet werden und auch der
Austausch der Datenbestände bzw. deren
Zentralisierung bei Auskunfteien zunimmt. Dies
führt zu
umfassenderen Bewertungen, die
gegen entsprechendes Entgelt
der Öffentlich-
keit
und damit auch Kunden und Lieferanten
zugänglich sind
.
Durch das steigende Vertrauen in diese Me-
thoden und die zunehmende Anonymisierung
der Wirtschaft durch
Globalisierung und In-
ternet
haben wir uns bereits wie selbstver-
ständlich an den Umgang mit Bewertungen
gewöhnt. Die verschiedenen Auktionsplatt-
formen oder auch
Bewertungsseiten für
Hotels und Reiseveranstalter
sind nur zwei
von vielen Beispielen. Dieser Trend schlägt
auch zunehmend in den B2B-Bereich durch.
Bereits heute gehört das regelmäßige Einholen
von Auskünften von mehreren Auskunfteien
bei vielen Unternehmen zum normalen Proze-
dere und ist für das eigene Risikomanagement
sogar empfehlenswert.
Fazit
Kein Unternehmen kann sich heute mehr
der Auseinandersetzung mit dem eigenen
Rating verschließen.
Es ist davon auszuge-
hen, dass jedes Unternehmen schon auf die
eine oder andere Art bewertet und beurteilt
wurde, mit oder ohne Wissen der Unterneh-
mensleitung. Dieser Trend wird sich weiter
verstärken. Daher bleibt jedem Unternehmen
nur die intensive Auseinandersetzung mit dem
Thema,
sich fit zu machen und dann eine
offene Kommunikation, mit den Banken
und anderen Stakeholdern, zu pflegen,
um
nicht zu unpassender Zeit eine unliebsame
Überraschung zu erleben.
Gerade den Con-
trollern, als Berater des Managements, fällt
hier eine Vorreiterrolle zu.
CM März / April 2013